Artikel von Angelika Oldenburg
Zu Ulrike Guérot: ›Wer schweigt, stimmt zu‹
»In diesen ersten Märztagen 2020, als man in Österreich eine Stunde legal joggen durfte, fand ich mich einmal am Donaukanal in Wien, weit und breit allein auf weiter Flur, auf einer Parkbank, den Kopf wie Diogenes gen Frühlingssonne gerichtet, als vier bewaffnete Polizisten mich baten, den öffentlichen Raum zu räumen. Der Vorgang war so bizarr, dass ich ab da der Überzeugung war, dass ein Großteil der der Gesellschaft kollektiv in eine Übersprungshandlung getreten ist. Viele trugen etwa noch im eigenen Auto Masken. Alle drängten voller Panik in einen Zug, der immer schneller an Fahrt aufnahm. Es war der Zug der Corona-Maßnahmen. Wer, wie ich, nicht in diesen Zug eingestiegen ist, hat das Zeitgeschehen von einer anderen Warte aus beobachtet und ist heute von der Gesellschaft entfremdet.« (S. 9f.) Von einer solchen anderen Warte aus hat Ulrike Guérot dieses Buch über die Corona-Zeit geschrieben, das ihr eigener österreichischer Verlag sich weigerte zu drucken, und das jetzt im Frankfurter Westend-Verlag erschienen ist.
Der Schriftsteller und Regisseur Henning Mankell (1948-2015)
Henning Mankell, geboren am 3. Februar 1948 in Stockholm, war einer der erfolgreichsten Kriminal-Autoren unserer Zeit. Mit seinem Kommissar Wallander erschuf er eine Figur, die den Leser zur Empathie verführt – weil er ein gebrochener Held ist, der das Zeitenschicksal miterleidet, der, oft erfolgreich, gegen das Böse kämpft und dennoch resigniert und pessimistisch ist, weil er eine Woge über sich hinwegrollen fühlt, gegen die Widerstand zwecklos erscheint. Wallander bemüht sich dennoch, zu widerstehen. Er trinkt zu viel Kaffee, isst fett und ungesund, schläft schlecht, ist Diabetiker, steht immer kurz vorm Herzinfarkt, ist einsam und sehnt sich nach Beziehungen zu Frauen, in denen er, wenn sie denn zustandekommen, sich ungelenk verhält und so das Gefühl der Einsamkeit hinterher noch vergrößert. Nur eine große Freude gibt es in seinem Leben: die herzerwärmende Kraft der großen italienischen Opernarien. In die flüchtet er sich, wenn das Leben ihm zu sehr zugesetzt hat.
Der unbarmherzig nahe Blick
Eine Sprache des Herzens lernen
Zur dritten Meditationstagung zum Werk von Georg Kühlewind
Der Geist des Übens war anwesend, als nun zum dritten Mal in Stuttgart von der Akanthos Akademie eine Meditationstagung in Anknüpfung an den Ansatz von Georg Kühlewind veranstaltet wurde. Alle Vortragenden waren ihm mit ihrer eigenen Biografie eng verbunden. Diesmal stand der therapeutische Aspekt im Vordergrund. Hauptredner waren der Arzt und Psychotherapeut Hartwig Volbehr, der amerikanische Psychotherapeut und Autor Michael Lipton und der Hochschullehrer István Székely aus Budapest. Als Leiter von Arbeitsgruppen waren außerdem Rudi Ballreich, Salvatore Lavecchia und Laszlo Böszörmenyi an der Gestaltung der Tagung beteiligt. Etwa 80 Menschen waren der Einladung gefolgt.
Zur vierten Meditationstagung zum Werk von Georg Kühlewind vom 20. bis 22. Oktober 2023 in Stuttgart
Zum vierten Mal hatte die Akanthos-Akademie zu einer Tagung eingeladen, die sich mit Themen aus dem Werk des 2006 verstorbenen Bewusstseinsforschers Georg Kühlewind beschäftigte. An der Tagung im Rudolf Steiner Haus in Stuttgart, die dieses Mal den Titel ›Der sanfte Wille‹ hatte, nahmen etwa hundert Menschen teil. Vorträge hielten der Psychotherapeut Sebastian Elsaesser aus Stuttgart, der Psychotherapeut Michael Lipson aus Great Barrington/MA (USA) und der emeritierte Professor für Informatik Laslos Böszörmenyi aus Klagenfurt. Alle drei leiteten auch Übungsgruppen; zu ihnen gesellten sich als Übungsgruppen-Leiter der Psychiater und Psychotherapeut Hartwig Volbehr aus Überlingen und der Organisationsberater Rudi Ballreich aus Stuttgart. Organisiert hatten die Tagung wiederum Andreas Neider und Laurence Godard aus Stuttgart.
Eine Tagung zu ›Meditation und Selbsterkenntnis‹ in Stuttgart
Wer immer sich bemüht, einen inneren Weg zugehen, sich dem Höheren zu öffnen, sich mehr auf die Welt einzulassen oder überhaupt in irgendeiner Weise an sich zu arbeiten, merkt schnell, dass gute Vorsätze allein nicht ausreichen. Wenn man sich bemüht, sich zu ändern, tauchen die Dinosaurier des Inneren auf: Muster, Gewohnheiten und Reaktionsweisen, von denen man manchmal meint, man durchschaue sie schon seit ewigen Zeiten. Aber da sind sie wieder – und überwunden hat man sie trotz aller Reflexionsfähigkeit noch immer nicht!
Zu Carolin Würfel: ›Drei Frauen träumten vom Sozialismus‹
Das Urteil sei vorweggenommen: Dies ist ein lebendiges Buch über die drei wichtigsten DDR-Schriftstellerinnen: Christa Wolf, Brigitte Reimann, Maxi Wander und über ihre Beziehungen zueinander. Ein Buch, das einen Blick in eine Zeit zurückwirft, in der Menschen davon überzeugt waren, dass ein kreativ gelebtes Leben nur in einer Gesellschaft möglich sein könne, die diese Art von Suche unterstützt. Denn das war die Hoffnung in den Aufbruchsjahren der DDR: dass sich individuelles Leben, künstlerische Kreativit.t und gesellschaftliches Engagement verbinden lassen. Geschrieben wurde das Buch von einer jungen Autorin, in Leipzig geboren, doch zu jung, um die DDR noch miterlebt zu haben. Aber die Romane der drei Schriftstellerinnen hatten sie in ihrer eigenen Suche angesprochen. Es gelingt ihr, dieses Gefühl der Resonanz auch in uns auszulösen.
Zum Jubiläumsheft ›100 Jahre die Drei‹ 1/2021
Nachruf auf Doris Lessing
Zur Tagung ›Die Wahrheit tun – Der Meditationsimpuls im Werk von Georg Kühlewind (1924-2006)‹ vom 9. bis 11. Oktober 2020 in Stuttgart
An den Impuls Georg Kühlewinds anzuknüpfen, ihn wieder bekannter zu machen und das Meditieren in seinem Sinne zu fördern, das war der Impuls der diesjährigen Meditationstagung der Akanthos Akademie, die im Oktober 2020 im Rudolf Steiner Haus in Stuttgart stattfand. In diesem Sinne begrü.te Andreas Neider – der zusammen mit Laurence Godard die Veranstaltung organisiert hatte – die Teilnehmer. Die produktive eigene Beschäftigung mit Kühlewinds Werk könne die Brücke bilden zwischen Anthroposophie, akademischer Wissenschaft und der Bewusstseinsforschung im buddhistischen Umfeld und sei so eine mögliche Voraussetzung für ein Gespräch zwischen verschiedenen Weltanschauungen und Disziplinen.
Zur Tagung ›Meditation als Erkenntnisweg – die Vielfalt anthroposophischer Ansätze‹ vom 23. bis 25. Februar 2018 in Stuttgart
Die diesjährige Meditationstagung in Stuttgart, veranstaltet von der Akanthos-Akademie und dem Institut für anthroposophische Meditation, hatte das Ziel, »die Vielfalt anthroposophischer Ansätze« der Meditation darzustellen. Tatsächlich waren etliche Menschen gekommen, die zum Thema Meditation Artikel und Bücher veröffentlichen oder Kurse geben: Rudi Ballreich, Markus Buchmann, Frank Burdich, Anna-Katharina Dehmelt, Corinna Gleide, Agnes Hardorp, Andreas Heertsch, Christoph Hueck, Gunhild von Kries, Jean-Claude Lin, Thomas Mayer, Andreas Neider, Antje Schmidt, Dorian Schmidt, Terje Sparby, Wolfgang Tomaschitz, Johannes Wagemann und Ulrike Wendt. Viele von ihnen arbeiten schon jahrelang zusammen. Auf Vorträge hatte man in der Gestaltung des Wochenendes fast verzichtet, es gab auch nur zwei Zeitabschnitte für die Arbeitsgruppen zum Üben. Im Mittelpunkt standen stattdessen vier Erkenntnisgespräche, zu denen sich jeweils eine Gruppe von Meditationslehrer/innen auf dem Podium versammelte. Die Themen dieser Gespräche waren: Natur-, Menschen-, Schicksals- und Selbsterkenntnis. Etwa 200 Menschen nahmen an der Tagung teil.
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Zu Mathias Wais: ›Ach Du liebe Anthroposophie‹
Lieber Mathias Wais,
ich traue mich, Sie so direkt anzusprechen, weil Sie das in Ihrem Buch mit der Anthroposophie ja auch tun. Und außerdem halte ich große Stücke auf Sie. Ihre Bücher über Biografiearbeit sind längst Klassiker geworden, und Ihre Botschaft, dass Entwicklung entsteht, indem ich mir in labilen Situationen etwas Neues ausdenken, meinen sicheren Boden verlassen muss, und dass mein Höheres Ich schützend und leitend über diesen Vorgängen steht, verbindet Psychologie und Spiritualität auf eine einleuchtende Weise. Ihren ›Diskurs über die moderne Biographie‹, das Buch über Marilyn Monroe, das liebe ich. Vor allem die süffisant-sarkastischen Stellen, die in der Hölle und im Himmel spielen, in denen Nagelbrettzurichter und auszubildende Engel auf Probe auftreten und Michael eine kleine Echse streichelt, die auf seinem Arm sitzt. Wo schließlich der liebe Gott eine Kommission einsetzt, um herauszufinden, was es mit dem Lebenslauf des modernen Menschen auf sich hat, der häufig zerrissen und fragmentarisch erscheint.
Ein Theaterprojekt über die Corona-Pandemie
Am Jagdschloss Grunewald in Berlin, vor der Kulisse des Grunewaldsees und der immer dunkler werdenden Silhouette des Waldes sitzen wir, die Theaterzuschauer. Nur das Rauschen der nahen Autobahn stört die Idylle. Die Bühne, so scheint es, ragt in den See hinein. Ein offener Ort. ›Offen lag die Welt – oder: Wir klatschen unsere Laptops an die Wand und gehen spielen‹ heißt denn auch der Titel des Stücks, das da von dem deutsch-syrischen Theaterkollektiv ›syn:format‹ gespielt wird.
Lessings ›Nathan der Weise‹ in Potsdam und Goethes ›Faust‹ in Altenschlirf
Zu Judith von Halle: ›Schwanenflügel – Eine spirituelle Autobiographie‹
Das Phänomen Judith von Halle erregte – und erregt vielleicht auch immer noch – die anthroposophischen Gemüter. Sie hatte im Jahre 2004, während ihrer Tätigkeit als Sekretärin im Berliner Arbeitszentrum der Anthroposophischen Gesellschaft, Stigmata bekommen. Fragen brachen auf: Ist es angemessen, derart starke übersinnliche Erlebnisse zu haben? Und dann noch Stigmata? Ist das auf dem anthroposophischen Schulungsweg überhaupt so vorgesehen? Ist es »sauber«? Vor allem in den Jahren 2004 bis 2006 haben sich viele Anthroposophen dazu positioniert. Judith von Halles eigenes Verhalten im Zusammenhang mit dem anderer Vertreter der Anthroposophischen Gesellschaft, oder auch einfach ihr So-Sein, führte zu einem tiefen Riss im Berliner Arbeitszentrum, ja zu einem Skandal, der es bis in die Schlagzeilen des ›Spiegel‹ schaffte. Seit 2006 lebt Judith von Halle in Dornach und hat dort, auf dem Fundament ihrer übersinnlichen Forschungen, zahlreiche Bücher publiziert. – Mit alledem im Hintergrund habe ich ihre Autobiografie ›Schwanenflügel‹ gelesen. Dabei war es mir wichtig, diese Kenntnisse auch tatsächlich im Hintergrund zu halten und sie nicht in mein Lese-Erlebnis hineinspuken zu lassen.
Freies Geistesleben in der DDR – Teil III
Es mag ihn geben, den einsamen Denker, dem sich zuhause, alleine am Schreibtisch, das Wesen der Dinge erschließt. Aber häufig geschieht auch das, was Heinrich von Kleist in seinem Essay ›Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden‹ geschrieben hat: »Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht; und ein Blick, der uns einen halbausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganze andere Hälfte desselben.« Oder, etwas weniger feierlich formuliert, Maxie Wander: »Das ist ja der Trick. Mit dir allein fällt dir meist gar nichts ein, und du versinkst in Trübsal. Guckt dir aber jemand offen ins Gesicht und zeigt auch noch Interesse, da klopft dein Puls auf einmal stärker und du entdeckst in dir Abgründe von nicht gelebtem Leben.«
Alle sind wir ein bisschen schräg drauf. Der eine kommt immer zu spät, der andere lacht so laut, dass die Nachbarn zusammenzucken. Einer gebraucht mit Genuss drastische Schimpfworte, ein anderer spricht immer so leise, dass ihn drei Meter weiter keiner mehr versteht, und behält das auch nach der dritten Nachfrage unbeirrt bei. Der eine liebt förmliche Begrüssungen und gibt jedem die Hand, wenn er den Raum betritt, der andere schleicht zu seinem Stuhl, ohne die Augen vom Boden zu erheben, und noch ein anderer setzt sich so geräuschvoll hin, dass die Nachbarin, die in Meditation versunken zu sein scheint, irritiert die Augen öffnet.