Mit dem Wissen und den Kenntnissen, die wir uns erworben haben, ist es so eine Sache. Was wir erlebt, erfahren, gehört und gelesen haben, ist ein wesentliches Fundament unserer Identität. Es stellt eine verlässliche Größe dar. Wir können uns darauf berufen, abstützen und fühlen uns darin gegründet. Das Stoßende ist nun, dass sich erworbenes Wissen als ein Störenfried erweist, sobald wir uns der wesenhaften, der übersinnlichen Erfahrung hingeben. Jeder kennt den hemmenden Einfluss erworbenen Wissens auf wesenhafte Erfahrungen und Einsichten. Sobald sich dasjenige, was man schon weiß, hervortut, wird jede tiefere und übersinnliche Erkenntnis überschattet. Das liegt offenbar daran, dass sich unser Wissen auf etwas bezieht, das bereits vergangen ist. Wissen beruht auf vergangenen Erfahrungen. Wesenhaften Erkenntnissen ist aber Unmittelbarkeit eigen. Sie ereignen sich jenseits der Zeit. In ihnen ist Zeit überwunden. Unmittelbarkeit heißt, dass die Unterschiede zwischen mir und dem anderen Wesen schwinden. Ich löse mich in das andere Wesen auf und umgekehrt. Vergangenes hat da nichts zu suchen. Das soll nicht heißen, dass das bereits Gewusste in einem späteren Schritt nicht hinzutritt. Zu früh darf es sich aber nicht einmischen, weil sonst die Unmittelbarkeit der Wesenswahrnehmung beeinträchtigt wird.
Schon mit dem Titel des vorliegenden Beitrags ist auf einen Zusammenklang irdischen und kosmischen Geschehens hingewiesen, der uns alljährlich in der Zeit der zwölf heiligen Nächte besonders nahekommt. Und so wollen die folgenden Ausführungen beleuchten, wie sich das Fest der Christgeburt, der Geburt des Jesuskindes, mit dem berührt, was Rudolf Steiner als das Mysterium der Geburt des Menschen allgemein bezeichnet. Dabei geht es nicht zuletzt auch um das Wirken des Erzengels Michael – was zunächst überraschen mag, denn es ist uns vielleicht nicht immer bewusst, welche bedeutende Rolle Michael sowohl im Hinblick auf Weihnachten und das christliche Mysterium als auch im Hinblick auf die menschliche Inkarnation zukommt.
Eine Gegenbewegung – Zweiter Teil
Ich wache mitten in der Nacht auf. Da ist Geschmack von Blut in meinem Mund. Ich weiß sofort, was das bedeutet. Ich schlage die Decke weg, huste. Obwohl es dunkel ist, sehe ich den Auswurf. Ich habe es im Blut. Sagt man doch. Es bedeutet, dass man »es« mit seinem Ich verbunden hat, dass es einem gehört, als Fähigkeit, an die man sich immer erinnern wird. Ich besitze die Fähigkeit, mich krankzumachen und mich zu heilen.
Gedanken über einen althochdeutschen Text aus den mittelalterlichen Schreibstuben des Klosters Reichenau
Aus der Mitte des 10. Jahrhunderts ist das anonyme Text-Fragment eines althochdeutschen Textes auf ratselhafte Weise aus einem der Skriptorien (Schreibstuben) des Klosters auf der Bodenseeinsel Reichenau auf uns gekommen. Es handelt sich um eine poetische Fassung von Joh 4,1-42, der Begegnung Jesu mit einer samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen in Sichem. Und so könnte es gewesen sein: Ein Bruder aus dem Orden des Hl. Benedikt im Kloster auf der Reichenau ging an einem uns unbekannten Tag um die Mitte des 10. Jahrhunderts nach der mittäglichen Ruhe wieder in das Skriptorium zu seiner Arbeit, dem Abschreiben eines trockenen historischen Textes, der ›Lorscher Annalen‹ (Annales Laureshalmenses‹), einer Aufzählung von Ereignissen aus der Zeit Karls des Großen.
Wie war dieser Bau gemeint?
Es ist bekannt, dass der Bau des zweiten Goetheanums nicht in jener Höhe errichtet werden konnte, die dem ursprünglichen Entwurf Rudolf Steiners entsprach. Doch welche Höhe war vorgesehen und wichtiger noch: Wie hätte der Bau dann gewirkt? In dieser Frage hatte ich mich immer an das von Rudolf Steiner gefertigte Baumodell bzw. seinen Gipsabguss gehalten. Günstige Umstände hatten mir erlaubt, von diesem Modell Fotos in einer dem realen Baueindruck entsprechenden Perspektive zu machen. Sie lassen eine Aufrichtekraft erkennen, die dem schließlich entstandenen Bau entschieden abgeht.
Otto Heinrich Jaeger und seine Freiheitslehre
Mit dem Siegeszug der modernen materialistischen Naturwissenschaften und ihrem Durchsetzen als alleinige Erklärungsinstanz gerieten jene Denker in Vergessenheit, dieals Nachfolger, Fortsetzer und Überwinder des Idealismus von 1820 bis 1860 auftraten und eine Brücke zur Anthroposophie hätten bauen können. Rudolf Steiner spricht indiesem Zusammenhang von einem »verschütteten Geistesleben«1. Der vorliegende Aufsatz widmet sich den Gedanken des Philosophen Otto Heinrich Jaeger (1828–1912) undbeleuchtet insbesondere seinen Freiheitsbegriff sowie seinen Reihenbegriff, wie sie sich im Verlauf seines geistigen Weges bildeten.
Warum wir »geistige Monokulturen« überwinden müssen
In den letzten 200 Jahren hat sich eine sehr einseitige Art des Denkens über die Natur und das soziale Leben herausgebildet. Dieses Denken hat Folgen, die zur Bedrohung fürunsere Gesundheit und die gesamte Welt werden. Der folgende Artikel sucht nach Wegen, auf denen wieder eine größere Vielfalt auf verschiedenen Ebenen des Lebens möglich wird. Dabei erscheint Diversität immer mehr als eine Quelle der Gesundheit.
Über die Philosophie von Édouard Glissant und das künstlerische Werk von Régis Granville
Die Überwindung eurozentrischer kolonialer Denkweisen und Machtstrukturen dauert an. Dabei handelt es sich nicht allein um eine politische Angelegenheit, sondern um die menschheitliche Aufgabe, das zukünftige Zusammenleben auf der Erde neu zu gestalten. Modellartig leuchtet die kreolische Kultur auf, die aus dem Zusammenkommen verschiedener Ethnien, Sprachen und Lebensarten in der Karibik entstanden ist und die sich sehr wahrscheinlich weltweit ereignen wird. Die Kreolisierung offenbart sich, indem über das Vergangene und Tradierte hinaus nach zukünftigen Lebensgestaltungen gesucht wird. Die Philosophie von Édouard Glissant und das künstlerische Werk von Régis Granville rufen facettenreich Ideen für eine postkoloniale und zukunftsbewusste Lebensweise wach. Der folgende Essay basiert auf einer Spurensuche auf der Antilleninsel Martinique.
Ideologie und Fakten - Teil II
Der Umgang mit dem Begriff »Rassismus« verdient an dieser Stelle eine Klärung. Gegenwärtig wird er häufig pauschal und nicht selten populistisch verwendet; wie beispielsweise der Kampfbegriff des »Kommunismus« in Zeiten des Kalten Krieges, vor allem in der McCarthy-Ära. Damals stand schnell unter »Kommunismus «-Verdacht, wer eine allzu liberale Haltung gegenüber der Sowjetunion einnahm, soziale Gerechtigkeit forderte, sich nicht eindeutig von früheren, linken Aktivitäten distanzierte oder einfach nur »falsche« Bekanntschaften geschlossen hatte. In ähnlicher Weise kann heute der Gebrauch eines »falschen« Wortes im »falschen« Kontext als »Rassismus« gewertet werden. Nuancierte Beschreibungen für unpassendes Verhalten, Unhöflichkeit, Vorurteile, Unbildung, Missverständnisse oder situativen Zorn werden häufig nicht Erwägung gezogen.
100 Jahre nach den ›Jungmedizinerkursen‹
»Es sollte gar nicht möglich sein zu sagen: Ich habe angestrebt das Wissen vom Heilen, aber nicht den Willen zum Heilen. – Denn ein Wissen, das also real ist, kann sich gar nicht vom Willen trennen, das ist ganz unmöglich«. So Rudolf Steiner 1924 im Osterkurs für Jungmediziner.Wie viele andere entscheidenden Motive der ›Jungmedizinerkurse‹ – von denen dieses Jahr sich der hundertjährige Geburtstag ereignet – darf auch dieser entschlossene Hinweis auf die lebendige Einheit von Wissen/Erkenntnis und Wollen, das mit der begegnenden Situation bzw. Individualität stimmig zusammenklingt, nicht als etwas wahrgenommen werden, das speziell, um nicht zu sagen mehr oder weniger exklusiv die Ärzte beträfe. Dieser Wahrnehmung würde in der Tat nicht nur der allgemeine Ton der zitierten Formulierung, sondern auch der Kontext widersprechen, in den sie eingefügt ist. Sie schließt nämlich eine allgemeine Betrachtung ab, in der Rudolf Steiner einerseits eine stimmige Menschenerkenntnis als unentbehrliche Grundlage für alle Gebiete der Erkenntnis/Wissenschaft und Handlung bezeichnet, damit in die Wirklichkeit der Welt eingegriffen und somit eine fruchtbare Einheit von Erkenntnis und Willen erzeugt werden kann; andererseits diese lebendige Einheit mit dem Mysterienwissen verbindet: »Es soll das Gefühl, das man gegenüber der Erkenntnis hat, überall, auf allen Gebieten des Lebens, zur Realität hin drängen, nicht zu formalem Auffassen. So war es ja, als das Wissen überall ein Mysterienwissen war. Da mußte man denjenigen, die bloß erkennen wollten, das Wissen vorenthalten, und gab es nur denen, die den Willen hatten dieses Wissen in Realität überzuführen.«
Aspekte ihres Wesens und ihrer heutigen Bedeutung
»In der alten Atlantis waren die meisten Menschen instinktiv hellseherisch, sie konnten hineinsehen in die Gebiete des Geistigen. Diese Hellsichtigkeit konnte sich nicht fortentwickeln, sie musste sich zurückziehen zu einzelnen Persönlichkeiten des Westens. Sie wurde da geleitet von einem Wesen, das in tiefer Verborgenheit lebte einstweilen, zurückgezogen selbst hinter denen, die auch schon zurückgezogen und Schüler waren eines großen Eingeweihten, [eines Wesens] das sozusagen zurückgeblieben war, bewahrend dasjenige, was aus der alten Atlantis herübergebracht werden konnte, bewahrend es für spätere Zeiten. Diesen hohen Initiierten, diesen Bewahrer der uralten atlantischen Weisheit, die tief hineinging sogar in alles dasjenige, was die Geheimnisse des Physischen Leibes sind, kann man Skythianos nennen, wie es im frühen Mittelalter üblich war. Und es blickt derjenige, der das europäische Mysterienwesen kennt, zu einem der höchsten Eingeweihten der Erde hinauf, wenn der Name Skythianos genannt wird.« – Rudolf Steiner
Der in dem obenstehenden Zitat aufgezeigte Zusammenhang um den Eingeweihten Skythianos bildet einen wichtigen Hintergrund für die Beschäftigung mit den hybernischen Mysterien. Einigen Grundmotiven dieser Mysterien bin ich bereits an anderer Stelle nachgegangen. So erschien zum 200. Geburtsjahr Herman Melvilles 2019 in dieser Zeitschrift ein Artikel, der die moderne Fortschreibung eines Motivs der westlichen, der hybernischen Mysterien beinhaltete: das Rätsel des mephistophelischen Doppelgängers, der in Melvilles ›Moby Dick‹ das Ich der Hauptperson Käpt’n Ahab überwuchert. Es ist dies ein Thema, das Rudolf Steiner zufolge für die Zukunft im Sozialen immer wichtiger zu beachten sein wird und das Melville wie prophetisch für die Entwicklung der damals frisch geborenen amerikanischen Kultur in monumentaler Weise vor uns hinstellt.
Ein Beitrag zum Stellenwert übersinnlicher Erkenntnis im Werk Rudolf Steiners
Anders als es die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Anthroposophie und auch die Rede von »Rudolf Steiner als Erzähler« erscheinen lässt, beansprucht das geisteswissenschaftliche Erkennen Rudolf Steiners weder, das Abbild einer vom Menschen irgendwie getrennt existierenden geistigen Welt darzustellen, noch von einer solchen Welt nur zu »erzählen«. Vielmehr geht es Rudolf Steiner um etwas ganz anderes, nämlich mit seiner Art des Erkennens nicht nur den Erkennenden, sondern auch das Erkannte zu verwandeln. Der nachfolgende Beitrag behandelt die übersinnliche Erkenntnis daher als eine neue Form der Liebe: Liebe als Erkenntniskraft.
Das Alltagsbewusstsein steht als Erkenntnisorgan im Zeichen der Vergangenheit, des Toten – wird sich immer nur des Ergebnisses des schon verlaufenen Erkenntnisprozesses bewusst – und steht als moralische Instanz im Zeichen der Egoität, des Nehmens, des Besiegens, weil wir glauben, unsere Persönlichkeit durch Besitz erweitern zu müssen. Der Mensch müsste an sich arbeiten, um einerseits im Erkennen in die zeitlose, lebendige Gegenwart (die erste Stufe der höheren Erkenntnis) einzudringen, und um andererseits in die Attitüde des Gebens, des Verzichtens zugunsten der Anderen und der Zukunft zu wechseln. Der Mensch müsste zum Sieger werden, ohne andere besiegen zu müssen. Er müsste sich selbst, sein egoistisches Wesen besiegen. Er müsste statt zur Gewalt zur Sanftmut finden.
Klänge eines totalitären Rechtslebens
In zwei anregenden Beträgen hat Matthias Fechner, auf Deutschland konzentriert, ungeschminkt die - oft als zu heikel betrachtete - Frage nach den Gründen erörtert, warum die meisten Hochschulen als Institutionen in den Corona-Jahren unfähig gewesen sind, eine umfangrache kritische Diskussion der weltgeschichtlich erstmaligen, sei es menschlich, sei es wissenschaftlich, sei es rechtlich, sei es wirtschaftlich tief problematischen Corona-Politik zu fördern. Denn es gab natürlich einzelne, mancherorts sogar nicht ganz wenige Akademiker, die eine solche Diskussion anregen wollten. Ihre Versuche wurden jedoch von den jeweiligen Institutionen im besten Fall ignoriert, allzu oft aber zensiert, boykottiert und diffamiert.
Ein Rückblick auf eine fortdauernde Krise
Die Coranapandemie hat eine extreme Spaltung in der Gesellschaft erzeugt. Von Seiten politischer und wissenschaftlicher Autoritäten wurden immer wieder Behauptungen aufgestellt, die ein kritisch-rationales Denken hinterfragen musste und sich im Nachhinein auch als falsch erwiesen haben. Doch ein großer Teil der Gesellschaft war nicht bereit, ein solches Hinterfragen zu leisten. Stattdessen wurden selbst ausgewiesene Sachverständige diffamiert und ausgegrenzt, wenn sie sich gegen die staatlich verordnete Auffassung stellten.Thomas Külken untersucht dieses Phänomen und zeigt auf, dass es sich hier um mehr als nur um eine probate Taktik der massenpsycholpgischen Beeinflussung handelt Der vorangehende Artikel hat schon darauf hingedeutet, dass Rudolf Steiner 1920 eindringlich vor dem Einsatz solcher Mittel warnte.
Zur Bedeutung des organisierten Lügens in der Coronakrise
Dieser Artikel vergleicht Aussagen Hannah Arendts über die Bedeutung der Lüge in der Politik mit einer ähnlichen Aussage Rudolf Steiners, auf der die Grundthese des Folgeartikels beruht. Die Tatsachen, die dort beleuchtet werden, sind so erschreckend, dass es der Redaktion sinnvoll erschien, sie in einen Kontext zu stellen, der auch von anderen herausragenden Persönlichkeiten des Geisteslebens beleuchtet wurde. Die Bedeutung der anthroposophischen Geisteswissenschaft liegt darin, dass sie den Menschen einen Weg zeigt, auf dem sie erkennen lernen können, wie sie in ihrem Denken und Handeln immer mit geistigen Wesenheiten verbunden sind. Die Fähigkeit auszubilden, diese Wesenheiten zu erkennen, wird maßgeblich darüber bestimmen, wie harmonsich oder chaotisch sich das soziale Leben in Zukunft gestalten wird. Die Scheu vor einem solchen Erwachen für den Geist ist dabei nicht zu unterschätzen.
Eine Replik auf Bijan Kafi: ›Diesseits des Politischen‹ in DIE DREI 2/2023
Beginnen wir mit einem Blick in die Wirklichkeit. In Hamburg, wo ich lebe und arbeite, haben 51,8 % der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund. Vielfach leben sie in hybriden und damit in meist von der Dominanzgesellschaft nicht als Norm akzeptierten Kulturen. Dies führt schnell dazu, dass sie mit Blick auf ihre Ethnie, Identität und äußere wie innere Zuschreibungen weder in der einen noch in der anderen Kultur als vollwertig anerkannt werden oder sich zugehörig fühlen können. Das hat auf der einen Seite Benachteiligung, vielfach auch Diskriminierung zur Folge – nicht nur bei Polizeirazzien oder bei der Job- und Wohnungssuche, sondern auch innerhalb ihrer vermeintlich oder ursprünglich eigenen Kultur. In der zweiten und dritten Generation führt eine solche Situation oft zu einer Form der Entheimatung, wenn sich das Hybride verfestigt und Teil der eigenen Identität wird – in dem Wissen, in den Augen der .Mehrheits-. oder Dominanzkultur nicht dazuzugehören.
Erklärungsansätze für die Stille der Hochschulen in den Corona-Jahren – Teil II
Auch ein Blick auf die breiteren Schichten der Wissenschaftspyramide hilft zu verstehen, warum Universitäten und Hochschulen keinen eigenständigen und mutigen Umgang mit der Corona-Krise fanden. Nicht unterschätzt werden sollte dabei, dass dort 82% der Arbeitsverhältnisse befristet sind. Der Andrang auf die Stellen der wissenschaftlichen Hilfskräfte, der Projektmitarbeiter, der Lehrkräfte für besondere Aufgaben und Dozenten ist folglich nicht immer groß, zumal ein gutes Drittel lediglich eine Entlohnung in Teilzeit vorsieht. Warum also nehmen junge Menschen ein Studium auf, machen damit den ersten Schritt in die Wissenschaft? Laut ›Statista‹ locken sie vor allem fachliches Interesse (59%) und Karrierechancen (43%) an die Universität. Doch man darf annehmen, dass viele junge Menschen auch mit dem Bewusstsein studieren, im Studium, damit in der Wissenschaft, auf der Seite der Vernunft, des Fortschritts, der aufgeklärten Zukunft zu stehen. Die Immatrikulation, später eventuell das Arbeitsverhältnis an der Universität oder Hochschule kommt damit einer Selbstermächtigung gleich: Jetzt kann man etwas gegen den Klimawandel, gegen gesellschaftliche Ungleichheit oder gegen tödliche Infektionskrankheiten tun, unter Anleitung von Expert*innen, die man vielleicht schon aus den Medien kennt. Bereits Studierende bewegen sich dabei in einer Hierarchie, die mit dem Versprechen glänzt, man könne später einmal selbst als Professor*in die Welt erklärend verändern. Gleichzeitig suggerieren die Medien, dass andere Wege dieses Ziel zu erreichen, verwahrlost seien. «Listen to the Scientists!« – Der Mahnruf der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg führt dagegen auf einen klaren Weg mit umfassendem Programm, zur Rettung der Welt.
Zwei Findlinge in der deutschsprachigen Literatur und der Mysterienhintergrund ihrer Werke – Teil II
Georg Büchner war Revolutionär, Naturwissenschaftler und Dichter. Sein öffentliches Wirken dauerte drei Jahre. Der zwanzigjährige frischverlobte Medizinstudent stellt 1834 mit der revolutionären Flugschrift ›Der hessische Landbote‹ der damaligen Gesellschaft die Diagnose und will gleich zur Notoperation schreiten, wird aber umgehend von den Autoritäten aus dem politischen Operationssaal verjagt. Er lässt allerdings ohne Bedauern »die Gießener Winkelpolitik und revolutionären Kinderstreiche« hinter sich.
Der Entwurf des zweiten Goetheanums gehört zu den Herausforderungen, die Rudolf Steiners unerwarteter Tod hinterlassen hat. Dabei ist das Verdienst, dass es den Mitarbeitern des damaligen Baubüros gelang, den Bau zu errichten, kaum hoch genug einzuschätzen. Nicht nur sein Schöpfer war verstorben, sondern es handelte sich auch um eine herausragende Pionierleistung, da noch nie ein Betonbau von solcher Größe und erst recht nicht mit solch lebendigen, bis heute unerreichten Formen errichtet worden war. Unbeeindruckt von allen Zerwürfnissen, die auf Steiners Tod folgten, kündet er von dem Geist, der die anthroposophische Bewegung eint. Damit ist der Bau aber noch nicht verstanden. Was beinhaltet seine Formensprache, die sich von der des ersten Baus so gründlich unterscheidet? Gibt es eine Gemeinsamkeit?
Rudolf Steiners Ringen um ein »richtiges Anschauen des Anthroposophischen«
Können wir das Weltgeschehen beeinflussen, oder sind wir zum tatenlosen Zuschauen verdammt? Die Antwort Rudolf Steiners darauf ist ebenso radikal wie den gängigen Vorstellungen zuwiderlaufend: Der Einfluss, den wir nehmen können, ist kein politisch-sozialer oder ökonomischer, wie man heute meistens glaubt, sondern unser Einfluss liegt in unserem Denken. Nicht aber in dem, was wir denken, sondern in dem, wie wir es tun: Die zusammen mit unserer Geburt in die Erde hineingestorbenen Gedanken müssen dieser als ein Lebendiges wieder entrungen werden. – Angesichts des Erdengrabes, in das das Goetheanum in der Silvesternacht 1922/23 hineingesunken war, rang RudolfSteiner darum, dass dieses Alles-Entscheidende verstanden werde. Der vorliegende Artikel gilt der Darstellung dieses Ringens, dessen Notwendigkeit bis heute ungebrochen fortbesteht.
Erklärungsansätze für die Stille der Hochschulen in den Corona-Jahren – Teil I
Kurz nach Ende des Wintersemesters 2021 lief ich über den leeren Campus einer westdeutschen Universität. Eilte im kalten Wind über einen offenen Platz, der wohl einmal als Agora angelegt worden war, ein weiträumiger Treffpunkt im Freien. Anfang der Siebziger Jahre, als die Reformen der Bundesregierung unter Willy Brandt es begabten jungen Menschen aus allen Schichten ermöglichen sollten, ein Studium aufzunehmen. »Mehr Demokratie wagen« – das war der Slogan damals.
Der Staat als Gefährder des individuellen Selbstbestimmungsrechtes des Menschen
Jeder Krieg führt zu eklatanten Verletzungen der Menschenrechte. Der vorliegende Artikel zeigt anhand der gegenwärtigen Konfliktsituation, dass der Staat seinem Wesen nach nicht in der Lage ist, die Menschenrechte wirksam zu schützen, sondern dass es darauf ankommt, diese gegenüber dem Staat behaupten zu können. Dazu bedarf es einer Kraft, die nur in einem vom Staat unabhängigen Gebiet aufgefunden werden kann. Gelingt es, dieses Gebiet neu zu erschließen, so können auch die moralischen Kräfte aufgefunden werden, die es ermöglichen, Konflikte der Völker wirksam zu befrieden.
Warum der ideologische Antirassismus mit Waldorfpädagogik unvereinbar ist
Wer am Ende des 20. Jahrhunderts meinte, ethnische und kulturelle Konfliktlinien gehörten zumindest der Tendenz nach der Vergangenheit an, wird seit rund 10 Jahren eines Besseren belehrt. Hautfarbe, Kultur, Abstammung erfreuen sich als Un-terscheidungs- und Abgrenzungsmerkmale wachsender Beliebthat. Das ist nicht zynisch gemeint, denn Haltungen, die sich an ihnen orientieren, werden öffentlich weithin positiv bewertet. In der Tat pocht mancher darauf, dass erst ihre gezielte Berücksichtigung durch soziale Steuerung umfassende gesellschaftliche Gerechtigkeit ermöglicht. Dieser Trend hat jetzt auch die Waldorfpädagogik erreicht. In ihrer Ausgabe vom November 2022 skizziert die ›Erziehungskunst‹, Leitmedium des Bundes der Freien Waldorfschulen in Deutschland, ein Programm zur Bekämpfung einer »Bedrohung von rechts« und von Diskriminierung an Waldorfschulen, welches sie in mehreren Beiträgen entfaltet. Im Mittelpunkt steht die Forderung, »Antirassismus« solle Kembestandteil einer zukünftigen »Waldorfkultur« werden.
Neuere Studien zur ›Philosophie der Freiheit‹ Rudolf Steiners – und das Erwachen aus einer kulturoptimistischen Illusion
Dank ›YouTube‹ ist ein Filmdokument einer im Jahr 1970 stattfindenden Debattierveranstaltung zum Thema Kunst und Gesellschaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das Podium ist mit Arnold Gehlen, dem konservativen Philosophen, und Joseph Beuys, dem Aktionskünstler und Denker der »Sozialen Plastik«, prominent besetzt. Beuys versucht den Zuhörern sein von der Anthroposophie inspiriertes Verständnis gesellschaftlicher Prozesse näherzubringen. Was auffällt: Wohl aufgrund der Schwierigkeit, dem Publikum einige seiner Einsichten nachvollziehbar zu machen, und der Befürchtung, die Zuhörerschaft mit einer allzu fremdartigen Weltsicht zu verprellen, flüchtet der Referent in das Wortaroma einzelner Begriffe, ohne diese näher zu charakterisieren. Verbale Provokationen und der für ihn typische Duktus charismatischer Selbstinszenierung kompensieren, was im Verkehr mit dem Auditorium nicht so recht gelingen mag. Beuys’ verzweifelter Zwischenruf »Wir brauchen eine neue Menschenkunde!« dürfte sich in den Ohren der meisten Teilnehmer, die dabei sicher nicht an Rudolf Steiners Werke zur Pädagogik, zu den Wesensgliedern oder zur Sinneslehre dachten, wie Wortgeklingel ausgenommen haben. Jedenfalls wirft Arnold Gehlen, selbst im Gebrauch präziser Begrifflichkeiten geschult und als Verfasser von Schriften zur .Philosophischen Anthropologie. mit den Menschenkunden eines Helmut Plessner oder Max Scheler bestens vertraut, nicht ganz zu Unrecht ein, dass das, was sein Kontrahent vorbringe, über das Niveau von Phrasen nicht viel hinauskomme.
als Wegbereiter freier geistiger Gemeinschaftsbildung
Als Wilhelm von Humboldt mit Goethe und Schiller in Beziehung trat, da hatte seine spätere Ehefrau Caroline von Dacheröden bereits mit beiden Bekanntschaft gemacht. Durch ihre Freundschaft mit Schillers späterer Ehefrau Caroline von Lengefeld war sie in deren Elternhaus bereits beiden Dichtem begegnet. Nach der Heirat wurde Humboldt in den Freundschaftskreis aufgenommen. So eröffnete ihm dies Schicksalsgefüge die Möglichkeit der Entfaltung des ihm ureigenen Vermögens: Vermittler zwischen den »Geistesantipoden«, Goethe und Schiller zu werden und damit die große Kulmination der »Weimarer Klassik« zu befördern. »Er - und kein anderer in diesem Grade -«, schreibt Humboldts erster Biograf Gustav Schlesier, »genoss die Freundschaft Schiller’s und Goethe’s zugleich; er nahm an ihrem Streben, gerade in der ersten Zeit ihrer folgenreichen Vereinigung, den vertrautesten und wirksamsten Anteil.« Und Schillers Biograf Karl Hoffmeister betont sogar: »In der Schule Humboldts wurde er [Schiller] erst für den Umgang Goethes reif.« Er war für Schiller in gewisser Weise, was Schiller für Goethe war: In ihm fand Schiller den »kongenialen Interpreten seiner selbst, den zeitgenössischen Deuter seiner geistigen und geschichtlichen Existenz«. Alle Worte, die Humboldt über Schiller aufzeichnet, zeugen von tiefer, liebevoller Ehrfurcht, wie es etwa aus den Worten klingt, die er drei Jahre nach Schillers Tod nach dem Studium alter Briefe, interessanterweise während eines Besuchs bei Goethe, an seine Frau schreibt: »Mit des armen Schillers nachgelassenen Papieren beschäftige ich mich des Morgens mit der Wolzogen. Es ist höchst merkwürdig zu sehn, wie, mit welcher Sorgfalt er gearbeitet hat. [...] Er bleibt der größte und schönste Mensch, den ich je gekannt; wenn Goethe noch dahingeht, dann ist eine schauerliche Öde in Deutschland.«
Zwei Findlinge in der deutschsprachigen Literatur und der Mysterienhintergrund ihrer Werke – Teil I
Heinrich von Kleist (1777-1811) und Georg Büchner (1813-1837) gehören wie Friedrich Hölderlin und Franz Kafka zu den seltenen Dichtern, deren Wirkung lange nach ihrem Tod größer ist als diejenige zu ihren Lebzeiten, und deren Sprache unübertrefflich den Kern des Gesagten trifft - bei Kleist sogar im auch schriftlichen Stottern und bei Büchner als jugendliche Leistung nebenher in einem auf wenige Jahre begrenzten Erwachsenenleben als Akademiker und politisch Verfolgter. Beide waren als Künstler ihrer Zeit weit voraus.Kleist und Büchner erlebten denselben Kulturraum, aber in vollständig voneinander getrennten, wenn auch dicht aufeinander folgenden Zeiträumen. Beide waren sie noch Zeitgenossen Goethes; Kleist gehörte zur Generation seines Sohnes, Büchner zu der seiner Enkel. Als Kleist starb, war Büchner noch nicht geboren; als Büchner starb, nur fünf Jahre nach Goethes Tod, wäre Kleist, hätte er sich nicht das Leben genommen, sechzig Jahre alt gewesen. Ihre Biografien zeigen als Gemeinsamkeit den Scharfsinn des Journalisten und die Ruhelosigkeit beider Persönlichkeiten; im Ganzen können wir jedoch an ihren Werken vor allem eine Polarität erleben: Kleist stellt den Menschen als Mittelpunkt ohne Peripherie dar; Büchner sieht die Menschen aus einer Peripherie, die keinen Mittelpunkt hat. Diese Polarität ist es, worauf im Folgenden die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll: bei Kleist im Wesentlichen aus der Perspektive seiner weiblichen Dramengestalten, bei Büchner in der Perspektive auf die männlichen.
Alanus ab Insulis wurde um das Jahr 1120 geboren und hat fast das ganze zwölfte Jahrhundert gelebt. 1203 starb er in Citeaux - und derjenige, der folgende Worte als Grabinschrift verfasste, ahnte viellacht, dass ein solcher Geist wiederkehren würde: »Eng ist das Grab und kurz die Zeit, die Alanus hier festhält, / Ihn, der die Zwei und die Sieben, der alles Wissbare wusste.« Vielleicht wurde mit der »Zwei« das Alte und das Neue Testament gemeint, und mit der »Sieben« die Sieben Freien Künste. Dass das Wissbare ihm den Beinamen »Doctor Universalis« gab, war durch die Nachwelt gegeben. Alanus lebte in der Zeit der Kreuzzüge, in der für die politischkulturelle Entwicklung Europas folgenschweren Stauferzeit. Licht und Schatten wechselten damals auf der Bühne des historischen Geschehens dramatisch ab. In einigen Ländern blühte die Kunst der Troubadours, und der Minnesang bewirkte eine Veredelung der Sitten. Es war das Jahrhundert der Grals-Literatur. Wolfram von Eschenbach dichtete an seinem >Parzival<, dem tiefsinnigsten Epos des deutschen Mittelalters. Der Orden der Zisterzienser wirkte nach dem Prinzip des ora et labora, rodete Wälder, drainierte Felder, betätigte sich als Viehzüchter und Baumeister, als Lehrer und Führer unzähliger Seelen.
Rudolf Steiner und Pazifismus
Während des Ersten Weltkriegs kritisierte Rudolf Steiner mit deutlichen Worten die Parolen mancher Friedensfreunde. Es gebe verblendete Menschen - »sie nennen sich oftmals auch Pazifisten« - die scheinbar höchste Ideale verkünden und »einen dauerhaften, ganz vollkommenen Frieden« anstrebten. Allerdings mit militärischen Mitteln. Wer sage, er »kämpfe für den Frieden und müsse deshalb Krieg führen, Krieg bis zur Vernichtung des Gegners, um Frieden zu haben«, der rede nicht nur Unsinn, sondern lüge. Bei anderer Gelegenheit wies Steiner auf einen Ausspruch des französischen Germanistikprofessors Henri Lichtenberger (1864-1941) hin, der meinte, es schade nichts, wenn der Krieg möglichst lange fortgesetzt werde, wenn nur am Ende ein dauerhafter Friede zustande komme. Die vielen Todesopfer hielt Lichtenberger für unwesentlich.Seit dem Ukrainekrieg 2022 scheint dieser »militante Pazifismus« wieder auf dem Vormarsch zu sein. Selbst die linksgrüne ›tageszeitung‹ (taz) schreibt: »Frieden gibt es erst, wenn Russland militärisch besiegt ist.« Die ehemals mächtige Friedensbewegung hat im Bundestag keine nennenswerte Lobby mehr, keine feste politische Heimat. Wer an diplomatische Konfliktlösungen glaubt, wird als naiv verspottet. Denn dem »Bösen« (in diesem Fall: dem russischen Aggressor) dürfe nicht tatenlos zugesehen werden. Auch innerhalb der anthroposophischen Bewegung wird der Krieg kontrovers diskutiert.
Anfang einer Ästhesiosophie
Der aus dem Griechischen übersetzte Anfang des Johannesevangeliums ist bekannt: »Am Anfang war das Wort (lógos), und das Wort war bei Gott.« (Joh 1,1). Bei aller Stimmigkeit verbirgt diese mittlerweile gängige Übertragung - wie übrigens alle Übertragungen ins Lateinische oder in eine moderne Sprache - die fruchtbare Vielfalt des griechischen Begriffs lógos. Ohne Bewusstsein dieser Vielfalt ist es jedoch nicht möglich, den unerschöpflichen Reichtum der johanneischen Spiritualität wahrzunehmen. Zu diesem Bewusstsein möchten die folgenden Ausführungen einladen, dabei manche fruchtbare Anregungen zu einem zukunftsträchtigen Menschenbild hervorhebend, die das Johannes-Evangelium uns schenkt.Im geistigen Horizont des Johannes bezeichnet der griechische Begriff lógos nicht nur das schöpferische Wort, das von der göttlichen Intelligenz (ebenso lógos) des Vaters geboren wird, sondern auch das harmonische Verhältnis, das zwischen dem Vater und dem Sohn/Wort am Anfang allen Seins schöpferisch wirkt, und durch das alle Formen des Seins entstehen (Joh 1,3 und 10). Denn in der Tat ist eine Grundbedeutung von lógos eben Verhältnis, Relation, Proportion, auch in musikalisch-mathematischem Sinne, d.h. als stimmiges Verhältnis wahrgenommen. Demzufolge kann der Anfang des Johannesevangeliums ebenso übertragen werden als: »Am Anfang war das (stimmige, harmonische) Verhältnis, und dieses Verhältnis war zum Gott hin gewendet.«