In der Christengemeinschaft gibt es eine Nachfolge-Regelung für den »Erzoberlenker«, die wohl einzigartig ist. Sie wäre niemals so eingerichtet worden, hätte sie nicht Rudolf Steiner selber angeraten. Er brauchte ohnehin einen langen Atem, bis sich Friedrich Rittelmeyer dazu verstand, eine derart herausgehobene Stellung anzunehmen. Mit dem Ritual verband Steiner den Rat, der Erzoberlenker solle schon am Tage nach seiner Erhebung seinen Nachfolger benennen. So wusste Emil Bock und auch die gesamte Priesterschaft, dass er Rittelmeyer beerben würde; nur der Zeitpunkt war ungewiss. Ebenso hat Bock 1938 Rudolf Frieling benannt, der dann – samt der Priesterschaft – zweiundzwanzig Jahre auf seine Erhebung hinzuleben hatte. Es war sicherlich klug, dass Frieling nicht öffentlich den Nimbus eines Nachfolgers tragen musste; so konnte er unbefangen in seinen Gemeinden (z.B. 1949 bis 1955 in New York) Seelsorger sein. Auch war die Nachfolge nicht absolut sicher, denn es hätte ja sein können, dass der ungefähr gleichaltrige Frieling früher als Bock stürbe.
Zu Frank Hörtreiter: ›Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus‹
Zu einer Selbstbesinnung, wie sie einer Unternehmung wie der Christengemeinschaft angesichts ihres bevorstehenden 100. Gründungstages verstärkt ein Anliegen sein kann, gehört unbedingt eine nüchterne und schonungslose Auseinandersetzung mit früheren Epochen, die sich naturgemäß mit Abstand und sicherer Quellenlage gründlich und umsichtig aufarbeiten lassen. So liegt seit wenigen Wochen die Studie ›Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus‹ von Frank Hörtreiter vor.
Zu Rudolf Steiner: ›Zur Geschichte der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft 1902-1913‹ (GA 250)*
Kaum eine weltanschauliche Organisation war so häufig von Skandalen und Abspaltungen betroffen wie die 1875 gegründete ›Theosophical Society‹, deren Hauptquartier sich im indischen Adyar bei Madras befindet. Gleichwohl übte die Lehre ihrer Gründerin Helena P. Blavatsky, besonders durch ihr Hauptwerk ›The Secret Doctrine‹ (1888), einen tiefen Einfluss auf die europäische Literatur- und Kunstszene des frühen 20. Jahrhunderts aus. Asiatische Weisheitslehren und zahlreiche Begriffe, die bis heute den Esoterik-Markt beherrschen, wie Aura, Chakren, Karma oder Reinkarnation, fanden durch die Theosophie Eingang in westliche Länder. Die ›Theosophical Society‹ gliedert sich in Landesgesellschaften (Sektionen), deren deutsche 1902 in Berlin gegründet wurde. Ihr erster Generalsekretär war bis 1913 Rudolf Steiner.
Zu Andreas Neider: ›»Bodhisattva-Weg« und »Imitatio Christi« im Lebensgang Rudolf Steiners‹
Ausgangspunkt und roter Faden dieser kleinen Schrift ist das geistige Erlebnis, das der Einweihungsschüler mit dem großen Hüter der Schwelle haben kann. Dieses spielt sowohl in Rudolf Steiners ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ als auch in seiner ›Geheimwissenschaft im Umriß‹ eine zentrale Rolle. Wesentlicher Bestandteil dieses Erlebnisses ist, dass der Schüler durch den Hüter vor die Entscheidung gestellt wird, ob er bereit ist, sein gesamtes Leben in den Dienst des Vorankommens der anderen Menschen zu stellen, ja sogar, wenn er sich nicht mehr aus eigener karmischer Notwendigkeit wiederverkörpern muss, trotzdem wieder zur Erde zu kommen, um der Befreiung der Menschheit zu dienen.
Manfred Kyber und sein Rückzug aus der anthroposophischen Bewegung
In dieser Zeitschrift erscheinen regelmäßig Gedichte des baltendeutschen Schriftstellers Manfred Kyber (1880–1933), auch Würdigungen seines Lebenswerkes wurden hier immer wieder veröffentlicht. Bekannt ist er als Verfasser von Tiergeschichten und Märchen, denen eine esoterische Weltsicht zugrunde liegt. 1911 lernte Kyber in Berlin Rudolf Steiner kennen und wurde bald darauf Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft. Weil er diese immer mehr als sektiererisch empfand, distanzierte er sich 1923 von ihr, trat aber nicht aus. Die Beweggründe seines Rückzugs gehen aus einem seiner Bücher hervor, und in krasser Deutlichkeit legte er sie in einem Brief an Steiner dar. Wenn im Folgenden aus diesem Brief zitiert wird, dann vor allem aus zwei Gründen: Erstens steht er exemplarisch für die Haltung einer ganzen Reihe unabhängiger Anthroposophen, die öffentlich bekannt und anerkannt waren, sich aber nach einer Zeit der Mitwirkung von der organisierten Anthroposophie fernhielten; und zweitens, weil manche von Kybers Kritikpunkten keineswegs überholt sind. Eine Antwort Steiners ist nicht bekannt. Hält man sich vor Augen, wie oft Steiner selbst manches Verhalten seiner »lieben Freunde« missbilligte, darf man aber annehmen, dass er Kyber in vielem Recht gegeben hätte.
Zu Besuch im ersten Goetheanum (als Modell)
Ich kann es kaum glauben: Ich verlasse nach einer gefühlten Ewigkeit wieder mein Haus, sitze im Zug und fahre nach Dornach … Ich weiß noch, wie ich das erste Mal hinfuhr, mit 21 Jahren, als ahnungsloser Neuankömmling in der Anthroposophie, und völlig verblüfft vor dem Goetheanum stand. Niemand hatte mich auf diesen Betonbau vorbereitet. Ein Elefantenhaus, dachte ich, und das war keineswegs respektlos gemeint. Eher als hilfloser Versuch, das Große, das damit zusammenhing, zum Ausdruck zu bringen. Aber Beton? Der kam in der romantischen Flower-Power-Welt von damals nur als Inbegriff der Nüchternheit vor. Gehwege und Gesamtschulen gab es aus Waschbeton. Ich war ratlos.
Zu Mirela Faldey & David Hornemann von Laer: ›Im Spannungsfeld von Weltenkräften‹
Es hat lange gedauert, bis dieses Buch erscheinen konnte. Und nun ist es genau zum richtigen Zeitpunkt herausgekommen, inmitten der Corona-Krise, während der das »Spannungsfeld von Weltenkräften«, um das es hier geht – der Mensch zwischen Luzifer und Ahriman – deutlich erlebbar ist. Was jetzt vorliegt, hat Gewicht – zunächst im wörtlichen Sinne: Mit seinen 536 Seiten und einem Format von 30,5x28,3x5 cm bringt es 4,5 Kilogramm auf die Waage!
Zu Judith von Halle: ›Schwanenflügel – Eine spirituelle Autobiographie‹
Das Phänomen Judith von Halle erregte – und erregt vielleicht auch immer noch – die anthroposophischen Gemüter. Sie hatte im Jahre 2004, während ihrer Tätigkeit als Sekretärin im Berliner Arbeitszentrum der Anthroposophischen Gesellschaft, Stigmata bekommen. Fragen brachen auf: Ist es angemessen, derart starke übersinnliche Erlebnisse zu haben? Und dann noch Stigmata? Ist das auf dem anthroposophischen Schulungsweg überhaupt so vorgesehen? Ist es »sauber«? Vor allem in den Jahren 2004 bis 2006 haben sich viele Anthroposophen dazu positioniert. Judith von Halles eigenes Verhalten im Zusammenhang mit dem anderer Vertreter der Anthroposophischen Gesellschaft, oder auch einfach ihr So-Sein, führte zu einem tiefen Riss im Berliner Arbeitszentrum, ja zu einem Skandal, der es bis in die Schlagzeilen des ›Spiegel‹ schaffte. Seit 2006 lebt Judith von Halle in Dornach und hat dort, auf dem Fundament ihrer übersinnlichen Forschungen, zahlreiche Bücher publiziert. – Mit alledem im Hintergrund habe ich ihre Autobiografie ›Schwanenflügel‹ gelesen. Dabei war es mir wichtig, diese Kenntnisse auch tatsächlich im Hintergrund zu halten und sie nicht in mein Lese-Erlebnis hineinspuken zu lassen.
Zu Sergej O. Prokofieff: ›Rudolf Steiner – Fragment einer spirituellen Biografie‹
Wie das vor zwei Jahren hier ebenfalls besprochene Buch ›Rudolf Steiner und die Meister des esoterischen Christentums‹1 erschien im vergangenen Jahr posthum ein weiterer Titel von der Hand Sergej O. Prokofieffs: ›Rudolf Steiner – Fragment einer spirituellen Biografie‹. Fragment blieb diese 1984 begonnene Arbeit über frühere Inkarnationen Rudolf Steiners, weil der Autor die geplanten Kapitel über Ephesos, Athen, die Gralszeit und das scholastische Hochmittelalter zu Lebzeiten nicht hatte ausführen können. Zu den erhaltenen drei Kapiteln über die Menschheitslehrer und die Mission Rudolf Steiners, über das Gilgamesch-Epos sowie über Enkidu und die nathanische Seele fügte er im Jahr 2014, kurz vor seinem Tod, ein viertes Kapitel hinzu, in dem er den karmischen Werdegang Rudolf Steiners zusammenfassend betrachtet – anstelle der ungeschriebenen Teile. Dieses letzte Kapitel verfasste er in deutscher Sprache, während die drei zuerst genannten Kapitel von Hans Hasler aus dem Russischen übersetzt wurden. Das ist erwähnenswert, weil die durch Hasler erreichte deutsche Sprachform dem Leser erfreulich entgegenkommt.
Zu Andrej Belyj: ›Istorija stanovlenija samosoznajuščej duši‹ [= ›Geschichte des Werdens der Selbstbewusstseinsseele‹]
Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass das Erscheinen von Andrej Belyjs bislang nur fragmentarisch bekannter, monumentaler ›Geschichte des Werdens der Selbstbewusstseinsseele‹ an ein Wunder grenzt und in die Zuständigkeit nicht nur der Philologie, sondern auch der Archäologie fällt. Wie ein Skriptorium nimmt es sich aus, entdeckt bei einer Ausgrabung am Toten Meer, obgleich die Zeitspanne, die seine Niederschrift von unserer Gegenwart trennt, keine hundert Jahre beträgt. In seiner Heimat wie im Westen ist der Autor von ›Die silberne Taube‹ (1910) und ›Petersburg‹ (1913) vor allem als Dichter und Romancier bekannt. Man stellt ihn in eine Reihe mit James Joyce, Marcel Proust und John Dos Passos oder auch William Faulkner, zumal – schon ob seines zeitlichen Vorrangs – als primus inter pares. Weniger bekannt ist er als Kulturphilosoph und Zeitkritiker: als Autor der Studie ›Rudolf Steiner und Goethe in der Weltanschauung der Gegenwart‹ (1917) etwa, des meisterhaften Versuchs einer kritisch-philosophischen Letztbegründung der Anthroposophie, oder der drei zwischen 1916 und 1918 verfassten »Krisen« (›Die Krisis des Lebens‹, ›Die Krisis des Gedankens‹, ›Die Krisis der Kultur‹), die cum grano salis als Vorwegnahme von Spenglers ›Untergang des Abendlandes‹ gelten dürfen.
Wie stehen wir heute in der Welt?
Ein kleiner Ausflug in die Sprache zu Beginn. Denn das Wort, das geteilte – an dem man miteinander Anteil nimmt – ist unsere In-Formation. Darin sind wir, wie die Zugvögel, auf Himmels- und Erdenreise. Wer fragt, nimmt Anteil am Leben des anderen. Wer dazu etwas sagt, spricht nicht über sich, sondern von sich aus – in den anderen hinüber. Darin sind beide eins im Gespräch. In der Formation, im Geist der Reise, im Unterwegssein des geistigen Lebens. Letzteres ist Begegnung: Intuition von Wesen, die einander durchdringend sich selbst erkennen, eins im anderen. Dieses große Du-Geschehen üben wir im Ich auf Erden, im Wort. Darum danke ich dir für deine Frage, die diesen Text entstehen lässt.Im Grunde sind es deine Worte, die – geistig ausgeflogen mit mir – nun wieder heimkehren zu dir. Aber es ist noch ein Dritter im Spiel, und wie wunderbar, dass du mit diesem ebenfalls in Kontakt stehst und so seinem Wort unmittelbar begegnen kannst: Rudolf Steiner, dem die zunächst folgenden Gedanken verdankt sind.
Zu Rudolf Steiners Holzskulptur des ›Menschheitsrepräsentanten‹
Wer ist der »Menschheitsrepräsentant« – eine der vielen Begriffe, mit denen Rudolf Steiner die Mittelfigur seiner neun Meter hohen Holzplastik bezeichnete? Bin auch ich es? Ist es der durch Tod und Auferstehung gegangene Christus? Kann ich es werden, wenn ich mich mit ihm verbinde? Die Holzskulptur stellt diesen Menschheitsrepräsentanten in das Spannungsfeld zweier antagonistischer Kräfte, die zu Wesenheiten verdichtet sind: den sich ins Licht wie auflösenden Luzifer und den sich an die Erde bindenden Ahriman. Ersterer bleibt ganz im eigenen Innenraum von Kopf und Brust, ohne Verbindung zur äußeren Welt; mit ihm nimmt die schöpferische Phantasie ihren freien Lauf. Letzterer ergibt sich ganz den irdischen Kräften, die ihn zum Skelett erstarren lassen; seine fledermausartigen Flügel lassen keine geistigen Höhenflüge zu, wohl aber pragmatisches Denken und Handeln. Anders ausgedrückt: Folge ich allein Luzifer, gerate ich in eine Welt gefühlvoller Gedanken, die zur Illusion werden; folge ich ausschließlich Ahriman, schaffe ich eine automatenhafte Wirklichkeit, aus der das eigentlich Menschliche verschwindet.
Zu Klaus Hartmann: ›Albert Steffen. Die jungen Jahre des Dichters‹
Lange wurde auf eine Biografie zu Albert Steffen (1884–1963) hingearbeitet. Der Gedanke daran ist – wie Herausgeberin Christine Engels und Autor Klaus Hartmann im Vorwort des nun vorliegenden 1. Bandes dieser Biografie berichten – fast so alt wie die Albert-Steffen-Stiftung selbst, die der Dichter kurz vor seinem Tod 1963 gegründet hatte. Um dies zu verwirklichen, waren u.a. unglaubliche Mengen an Tagebüchern zu bewältigen. Steffen hatte seit seinen Jugendjahren Tagebuch geschrieben, und seit 1906 sind diese Aufzeichnungen lückenlos erhalten. Die Übertragung derselben in Schreibmaschinenabschrift umfasst allein 23.000 Seiten. Neben dem umfangreichen dichterischen Schaffen mit seinen 70 veröffentlichten Werken aller Literaturgattungen befinden sich im Hintergrund zahlreiche unveröffentlichte Manuskriptentwürfe, Fragmente und Notizen sowieeine umfangreiche Korrespondenz.
Zu Ulrich Kaiser: ›Der Erzähler Rudolf Steiner‹
Nachdem ich 2008 meinen Dokumentarfilm ›Abenteuer Anthroposophie – Rudolf Steiner und seine Wirkung‹ veröffentlich hatte, hörte ich natürlich nicht auf, mich weiter mit diesem eigenwilligen Denker zu befassen. Immer wieder beschäftigte mich die große Diskrepanz zwischen der bewundernden Anerkennung Steiners in anthroposophischen Kreisen und den enormen Schwierigkeiten, welche die Öffentlichkeit und auch die Wissenschaft mit seinen esoterischen Lehren haben. Und wie konnte ich selbst seine schwer verständlichen Deutungen der Urgeschichte, der Evolution, der Erzengel, Elementarwesen und Inkarnationsfolgen noch besser verstehen?
Zu Lorenzo Ravagli: ›Selbsterkenntnis in der Geschichte – Anthroposophische Gesellschaft und Bewegung im 20. Jahrhundert. Band 1‹
Ende 2020 ist der erste Band von Lorenzo Ravaglis auf drei Bände angelegtem Werk über die Geschichte der anthroposophischen Gesellschaft erschienen. Der erste Band trägt einen zweiteiligen Titel: ›Selbsterkenntnis in der Geschichte – Anthroposophische Gesellschaft und Bewegung im 20. Jahrhundert‹. Daraus ergeben sich erste Fragen: Wessen Selbsterkenntnis ist gemeint? Geht es um die kollektive, wissenssoziologisch definierbare Selbsterkenntnis der Anthroposophischen Gesellschaft oder um individuelle Erreichnisse der Mitglieder? Gibt es einen stabilen Begriff der »anthroposophischen Bewegung«? Handelt es sich dabei um Gemeinschaftsintentionen der lebenden Gesellschaftsmitglieder, oder sind Verstorbene und andere Geistwesen einzubeziehen? Beabsichtigt der Verfasser, seine Darstellung nur bis zum letzten Jahrhundertende zu führen, oder wird er in den beiden nächsten Bänden auch die Gesellschaftsentwicklung danach berücksichtigen? (Durchlitt die anthroposophische Gesellschaft doch in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrtausends und bis in die Gegenwart hinein neue krisenhafte Veränderungen.)
Zum Gedenken an Martin Basfeld (24. April 1956 bis 12. Oktober 2020)
»Es gibt die Wahrheit. Man kann sie nicht haben, aber in ihr leben. Es gibt nicht viele Wahrheiten im Sinne von unterschiedlichen voneinander isolierten Wahrheiten, sondern unendlich viele Teilansichten von ihr …« – Diese Sätze von Martin Basfeld fanden sich in Notizen, die er am 10. November 2019, ungefähr elf Monate vor seinem Tod, aufgeschrieben hatte. Sie bringen etwas zum Ausdruck, was sehr unmittelbar mit ihm als Mensch verbunden war, ja ihn als Menschen ausmachte, und zugleich weit über ihn hinausreicht. Er hatte durch seine sehr ausgeprägte Orientierung am Denken, von der Schul- und Studentenzeit an geschult am Werk Rudolf Steiners, einen tiefen Bezug zur Wahrheit. Zwei Aussagen aus der ›Philosophie der Freiheit‹ wurden daherals Martins Lebensmotto der Todesanzeige vorangestellt: »Das gemeinsame Urwesen, das alle Menschen durchdringt, ergreift somit der Mensch in seinem Denken.« – »Das mit dem Gedankeninhalt erfüllte Leben in der Wirklichkeit ist zugleich das Leben in Gott.«
Zu Klaus J. Bracker: ›Manichäismus und moderne Geisteswissenschaft‹
Wie zukünftig ist Manis Impuls? – Das vorliegende Buch ist ein organischer, außerordentlich kenntnis- und materialienreicher Versuch, diese im Horizont der Anthroposophie so wichtige Frage zu vertiefen, die stimmigerweise dessen Untertitel bildet. Die hier gebotene Vertiefung bewegt sich durch sieben Kapitel, deren Intention nicht in der Formulierung vorgefertigter Lösungen, sondern darin besteht, Anregungen und Quellen zu einer selbstständigen Beantwortung dieser Frage zu schenken.
Zur vollständig revidierten Neuausgabe von Rudolf Steiner: ›Aus der Akasha-Chronik‹ (GA 11)
Der nun vollständig revidierte Band 11 der Gesamtausgabe enthält die frühen, von 1904 bis 1908 in der Zeitschrift ›Lucifer-Gnosis‹ veröffentlichen Aufsätze Rudolf Steiners zur Erdgeschichte und Vorgeschichte der Menschheit. Im Jahr 1939, also lang nach Steiners Tod, waren sie von Marie Steiner zu einem eigenständigen Band der Gesamtausgabe zusammengefasst, kommentarlos redigiert und mit Ergänzungen herausgegeben worden. Auch die späteren Herausgeber griffen bei Neuauflagen nach eigenem Ermessen stillschweigend in den Text ein. Jahrzehntelang bot die Gesamtausgabe damit ein Buch, das in scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten nicht mehr dem entsprach, was und wie Rudolf Steiner geschrieben hatte. Ist die Textgrundlage bei den vielen mündlichen Vorträgen wegen möglicher Hör-, Übertragungs- und Verständnisfehler mit einem unvermeidbaren Maß an Ungewissheiten belastet, so bieten die schriftlichen Texte wie dieser eine Verlässlichkeit, die in der Edition auch zur Geltung kommen muss. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil Rudolf Steiner ein Autor war, der seinen Texten peinlich genaue Sorgfalt zukommen ließ und der darauf baute, dass auch die Form seiner Aussagen – bis hin zu einem Satzzeichen – von Bedeutung für den Inhalt ist.
oder: Geistiger Widerstand als Kapitulation
In letzter Zeit wird die Anthroposophie von Kritikern wieder verstärkt in die Nähe rechtsextremistischer Bestrebungen gerückt. Dass das nicht nur mit böswilliger Ignoranz zu tun hat, sondern mit einer echten Herausforderung des Unterscheidungsvermögens, an der auch Anthroposophen scheitern können, zeigt ein symptomatischer Fall, der im Folgenden geschildert werden soll.
Zu Volker Fintelmann & Steffen Hartmann: ›Mit Widar Zukunft schaffen‹
Ich las ›Mit Widar Zukunft schaffen‹ unterwegs, entlang der europäischen Nord-Süd-Achse zwischen Salzburg und Udine, zum ersten Mal nach vielen Wochen hygienisch begründeter Reiseeinschränkungen wieder die aufrichtende geistige Wärme, das seelenbefruchtende Licht empfindend, die diese Achse schenkt. Das Ergebnis war ein wundersamer Zusammenklang zwischen den im Buch vertieften Themen und der sowohl sichtbaren als auch geistesgeschichtlichen Landschaft, die mich umgab: Widars Wirkung auf der Nord-Süd-Achse und die krebsheilende Kraft der Mistel begegneten jener Landschaft, die das Leben des Paracelsus wesentlich prägte und die so reich an Misteln sein kann. Frucht dieser Begegnung ist das Gespräch mit diesem Buch, das hier erklingen möchte – ein Gespräch, keine Besprechung; ein Gespräch mit einem Wesen, das durch dieses Buch seine ichsam unscheinbare, doch gerade wegen ihrer Unscheinbarkeit für unsere Gegenwart umso wesentlichere Wirkung steigern möchte.
Zu Hartwig Schiller: ›Aller Anfang – Gründergestalten der anthroposophischen Arbeit in Stuttgart‹
Zu Renatus Ziegler: ›Geist und Buchstabe‹
Dieses Buch ist ein Sachbuch im besten Sinne: Sauber gegliedert charakterisiert und dokumentiert es die Tätigkeit Rudolf Steiners als Herausgeber von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften zwischen 1882 und 1896 in seinen verschiedenen Facetten: Wie kam es zur Mitarbeit zunächst an Joseph Kürschners Reihe ›Deutsche National-Litteratur‹ [sic!] und dann an der Weimarer Sophienausgabe von Goethes Gesamtwerk? Was waren jeweils seine Aufgaben und was hat er aus ihnen gemacht? Welche eigenen Intentionen hat er dabei verfolgt? Es werden die jeweiligen Arbeitszusammenhänge erläutert, die beteiligten Menschen und Steiners Beziehungen zu ihnen gewürdigt und schließlich auch die zeitgenössische sowie spätere Rezeption von Steiners Herausgebertätigkeit dokumentiert und analysiert. Auch Rudolf Steiners eigener Blick zurück auf seine Herausgebertätigkeit findet Berücksichtigung.
Zu Thomas Meyer: ›Wie Zwerge auf den Schultern von Riesen‹
In den letzten Jahren ist eine Reihe von Büchern erschienen, die sich historisch, spirituell und auch kritisch mit der Entwicklung der von Rudolf Steiner 1924 begonnenen Freien Hochschule für Geisteswissenschaft auseinandersetzen. Diese Tatsache offenbart das Bedürfnis vieler Menschen, ob sie nun Hochschulmitglieder sind oder nicht, sich mit dieser besonderen Einrichtung – der Michaelschule – zu befassen, zumal mit den Irrungen und Wirrungen der sie tragenden Menschengemeinschaft. Damit hat ein Gespräch begonnen, das sehr offen ausgetragen wird und zum Ziel hat, Klarheit über die Vergangenheit dieser Schule zu gewinnen, aber auch Weichen für die Zukunft zu stellen – eine Zukunft, die freilich erst dann richtig Gegenwart werden kann, wenn diese Bemühungen im Geiste Michaels geschehen.
Zu Peter Selg: ›Die Auseinandersetzung mit dem Bösen‹
Peter Selg hielt im Mai 2019 in Zürich einen Vortrag vor Mitgliedern der ersten Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, in dem die Bedeutung der Mächte des Bösen für den Schulungsweg dieser 1923/24 erneuerten esoterischen Schule eingehend untersucht wird. Der hier besprochene schmale Band gibt das Autoreferat dieses Vortrages wieder.
Zum Urbild und Selbstverständnis der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Eine Neuerscheinung
Die Frage nach den Zielsetzungen und Aufgabenstellungen der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft fast einhundert Jahre nach ihrer Begründung bietet neben der Frage nach dem Selbstverständnis der von Rudolf Steiner inaugurierten Freien Hochschule für Geisteswissenschaft Raum für unterschiedliche Beobachtungen, Deutungen und Urteilsbildungen. Gleichwohl unterliegen Zielsetzungen und Intentionen von Weihnachtstagungsgesellschaft und Hochschule keiner Beliebigkeit, sondern wurden in Gestalt der sogenannten Gründungsstatuten der Nachwelt übermittelt. Offenbare Geheimnisse ihres auf den ersten Blick eher unscheinbaren Gehalts sollen im Folgenden freigelegt werden, ehe sich der Rezensent einigen, ihm besonders erörterungsbedürftig erscheinenden Aspekten eines kürzlich erschienenen Sammelbandes zur freien Hochschularbeit widmet.
Zu Karl Ballmer: ›Elf Briefe über Wiederverkörperung‹
Mitte Mai 1953 erhält der für seine akademische Versiertheit bekannte Anthroposoph und Autor Hans Erhard Lauer eine Folge von Briefen, die sich auf dessen neueste Veröffentlichung zum Thema Wiederverkörperung beziehen. Bereits der erste Brief ist ein Affront. Er kommentiert nämlich Lauers gebildete Darstellung mit dem Satz: »Wie sich Tante Lieschen die Wiederverkörperung vorstellt – – ...« (S. 9). Lauer kennt den Absender, den hochgradig engagierten Anthroposophen und Maler Karl Ballmer, schon länger. Er hat ihn noch vor dem Krieg mehrmals in dessen Hamburger Atelier besucht, und bestimmt wurden damals intensive Gespräche über Wissenschaft und Anthroposophie geführt. Wohl deshalb antwortet er in seinem eigenen ersten Brief konziliant und bittet den Provokateur, nicht bloß mit seinen Äußerungen zu orakeln und zu kritisieren, sondern selbst einen »positiven und systematischen« (S. 65) Beitrag zum Thema Wiederverkörperung zu leisten. Und in einem zweiten Brief, wenig später, macht Lauer sogar einen besonnenen Vermittlungsvorschlag – den Ballmer indessen auf sich beruhen lässt. Es scheint Ballmer vielmehr nötig, weiter aus seiner eigenen Perspektive zu sprechen und zu versuchen, trotz aller erlebten und vollzogenen Zurückweisung verständlich zu werden. Und d.h. bei ihm: durch seine Begriffsbewegungen und denkerischen Ansatzpunkte, durch seine Schreibpraktiken und Ungehörigkeiten sichtbar und nachvollziehbar zu machen, was sein Erkenntnisethos antreibt und welche Wege es sich bahnt. Es kommt also zu keinem Austausch, wie wir ihn uns als Vertreter einer rationalen Diskursgemeinschaft wünschen würden. Lauer wird sich nach seinem zweiten, von Ballmer nur beiseite geschobenen Brief nicht mehr äußern.
Zu Anna Seydel: ›Stirb und Werde‹
An die Seite ihres vor zehn Jahren erschienenen spirituell-praktischen Büchleins ›Ich bin du. Kindererkenntnis in pädagogischer Verantwortung‹ (Stuttgart 2009) stellt die erfahrene Klassenlehrerin Anna Seydel nun eine Reihe von Studien vor, die aus ihrer anthroposophischen Grundlagen-Arbeit hervorgegangen sind. Sie vereinigen sich unter dem Gesichtspunkt des von Rudolf Steiner beschriebenen rosenkreuzerischen Schulungs- und Erkenntnisweges.
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Zu Andreas Neider: ›Denken mit dem Herzen – Wie wir unsere Gedanken aus dem Kopf befreien können‹
Viele Entwicklungsschritte, die heute notwendig sind, kann man auch an deren Gegenbildern und den damit zusammenhängenden Gegenwelten erkennen. Gerade wenn man mit der Frage lebt, wie wichtig bestimmte Entwicklungsschritte sind, kann der Blick auf die Gegenbilder von zentraler Bedeutung sein.
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Zu Mario Betti: ›Das Rosenkreuz – Von der Einwohnung des Christus im Menschen‹
Anfang März dieses Jahres hielt ich mich für drei Tage im Vreede-Archiv in Den Haag auf. Ich war auf der Suche nach einem eventuellen Briefwechsel zwischen Elisabeth Vreede und Elise Wolfram (1864–1942). Wolfram, derenBiografie ich weitgehend abgeschlossen habe, hat während ihres ganzen Lebens ein lebhaftes Interesse am Sternenhimmel gehabt, das sich z.B. in ihrem beharrlichen Fragen nach den eurythmischen Bewegungen und Gesten der Planeten und Tierkreiswesen, in ihrer Organisation von Rudolf Steiners Zyklus ›Christus und diegeistige Welt‹ in Leipzig sowie in ihrem letzten Werk ›Fixsternhimmel und Menschheit‹ (1940) zeigt. Es war naheliegend, einen Briefwechsel mit Vreede als Leiterin der Mathematisch-Astronomischen Sektion für möglich, ja wahrscheinlich zu halten. Nichts derartiges habe ich gefunden. Doch geben die Fülle des Materials und der bisherige Stand der Katalogisierung Hoffnung, dass noch etwas zu finden sein wird, denn in drei Tagen kann man nur einen kleinen Teil des Bestands durchsehen.