Artikel von Joachim von Königslöw
Fortgesetzte Betrachtungen zu einem ununterbrochenem Krieg
Dem Schweizer Waldorflehrer und Anthroposophen Peter Lüthi, einem Kenner Russlands und der Ukraine, ist es im vorigen Jahr gelungen, beide Länder – in denen er seit den 90er-Jahren Kurse und Seminare abgehalten hat – mehrere Wochen lang zu bereisen. So etwas geht also. In der Zeitschrift ›Gegenwart‹ berichtet er darüber und schreibt: «Es kann mir gar nicht einfallen, den Lesern mitzuteilen, was ›Russland‹, ,›die Ukraine‹ oder ›das russische Volk‹ denken, fühlen und wollen. – Und jede eigene Wahrnehmung und Begegnung vermindert ein wenig meine Abhängigkeit von dem, was westliche, ukrainische oder russische Medien und Experten beweisen wollen. Ich glaube weder dem Spiegel noch dem Antispiegel, weder dem Mainstream noch dem Antimainstream [...]. Von beiden Seiten werde ich mit Eindeutigkeiten bearbeitet, die so wenig der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit gerecht werden, die ich in jeder wahrgenommenen Wirklichkeit finde. Meine Sympathie oder Antipathie gegenüber Russland, den USA oder der Ukraine kann nicht das Kriterium sein, ob eine Information wahr ist. Da ich mir eingestehen muss, sowohl für ›Russland‹ wie für ›die Ukraine‹ Sympathien zu haben, komme ich um diese Einsicht nicht herum.« Mir geht es ebenso! Deshalb habe ich mir seinen Vorbehalt sehr zu Herzen genommen.
Mariano Pensottis ›Diamante‹ auf der Ruhrtriennale 2018 in Duisburg
Ruhrtriennale 2018. In der riesigen, 170 Meter langen Halle der früheren Kraftzentrale des einstigen Hüttenwerks in Duisburg-Meiderich wird ›Diamante. Die Geschichte einer Free Private City‹ uraufgeführt. Wir wollten eigentlich nicht hingehen. Zu überspannt schien uns das, was im Programmheft der Ruhrtriennale darüber zu lesen war: Das Stück sei ein sechsstündiger »Parcours« durch den Nachbau dieser fiktiven utopischen Stadt im argentinischen Urwald, ein »bizarres Dschungel-SiliconValley«, geschrieben und inszeniert von dem argentinischen Schriftsteller, Filmregisseur und Theatermacher Mariano Pensotti.
Wladimir Putin und sein Krieg
Ich hatte Wladimir Putins Invasion der Ukraine befürchtet und erwartet; doch als sie am 24. Februar 2022 in der Morgenfrühe tatsächlich begann, war ich, wie wohl die meisten meiner Zeitgenossen, zutiefst schockiert; weil das, was nicht geschehen durfte, eben doch geschah – und ich meine tiefe Ohnmacht spürte. Schon am Vortag hatte die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹ ein Prosa-Gedicht (sozusagen ein ›Gedicht in Prosa‹ à la Turgeniew) von Uwe Kolbe veröffentlicht. Ich zitiere die ersten fünf Zeilen (wobei die erste Zeile auch die Überschrift ist): »Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen. / Der ehemalige Sowjetrepubliken beherrschende / vermutlich ehemalige Geheimdienstoffizier tut es / erneut: Angrenzende Gebiete werden angrenzende / Staaten, werden anerkannt, besetzt, einverleibt.«3 Dazu kontrastierend schildert Kolbe Reminiszenzen des inneren, kultivierten, »eigentlichen« Russland und endet wieder mit: »Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen.« Mit der Anfangszeile wird der Bogen zurück zu einem anderen, allgemein bekannten Ereignis geschlagen; denn vor 83 Jahren (das ist genau meine Lebenszeit!), verkündete Adolf Hitler mit diesen Worten, dieser Lüge den Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Über den Kulturverlust in Zeiten der Pandemie
Im Jahre 1962 erschien in den Vereinigten Staaten Rachel Carsons Buch ›Der stumme Frühling‹. Es löste damals eine Art von Aufschrei aus und befeuerte die Anfänge der ökologischen Bewegung. Worum ging es? Auch zu jener Zeit war die zivilisierte Welt keineswegs still oder stumm – im Gegenteil! Aber die Menschen spürten auf einmal: Ein wesentliches Element zum Erleben des Frühlings fehlte: die Vogelstimmen. Sie waren verstummt, denn die Zivilisation hatte den Vögeln die Lebensgrundlage genommen. Das betraf damals (und auch heute noch!) die Natur, das Naturerleben. Wenn ich jetzt 2020/21 in Analogie dazu von einem »stummen Winter« spreche, geht es um die Kultur – also das, was in der modernen Zivilisation das öffentliche In-Erscheinung-Treten und Sich-Ausleben von »Kultur« ist: Musik und Konzerte, Bildende Kunst und Ausstellungen, Theater, Schauspiel und vieles mehr, soweit es sich öffentlich im aktuellen Sich-Begegnen und Agieren der Menschen untereinander abspielt. Öffentliches Sich-Begegnen der Menschen sei aber – so heißt es – in den Zeiten der Corona- Pandemie gefährlich! Überdies sei das »öffentliche Ausleben« von Kultur nichts so Lebenswichtiges wie Essen und Trinken, Gesundheit und Hygiene, wie Produktion und Handel der für’s Leben »unverzichtbaren« Güter. Kultur sei Unterhaltung, etwas für die Freizeit! »Kultur« ist also im Sinne der um uns besorgten Politiker und ihrer Ratgeber aus Kreisen der »Wissenschaft« bloß Unterhaltung; sie wird also dem nicht-essenziellen Bereich des Lebens zugeschlagen!
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Was ist gegenwärtige Michael-Kultur?
Die Jahrestagung der Anthroposophischen Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen am 7. November 2015 in Bochum wurde durch zwei Beiträge eingeleitet. Barbara Schiller von ›stART international‹ berichtete aus der Perspektive der Notfallpädagogik sehr bewegend und lebendig von den Schicksalen und Problemen der Flüchtlinge, vor allem der verzweifelten Lage vieler Kinder. Demgegenüber sollte das hier folgende – für die Wiedergabe im Druck gekürzte und bearbeitete – Referat aus geisteswissenschaftlicher Sicht gedankliche Hilfen zum Verstehen und Einordnen der Ereignisse in größere Zusammenhänge geben.
Zu Hans-Werner Schroeders Biographie »Friedrich Benesch. Leben und Werk 1907-1991«