Artikel von Joachim von Königslöw
Eine Ausstellung in Essen und dann Zürich
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Zu ›Am See‹ von Kapka Kassabova
Kann ein einzelner Mensch eine Landschaft – und ihre Schicksale – erlösen? Ist das denkbar – oder sogar machbar? Um nichts weniger als diese Frage geht es im jüngsten Buch der bulgarisch-englischen Schriftstellerin Kapka Kassabova, das 2021 auf deutsch erschien und hier vorgestellt werden soll. (Das Original kam 2020 unter dem Titel ›To the Lake. A Balkan Journey of War und Peace‹ in London heraus) »Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, / ist eingeweiht«, sagt Goethe in ›Torquato Tasso‹ (V. 80f.). Wem träten dabei nicht die Landschaften Umbriens, die der heilige Franziskus durchwandelte, vor das innere Auge, um nicht gleich ans biblische Galiläa zu denken – oder, näher bei uns, die Thomaskirche in Leipzig, an der Johann Sebastian Bach wirkte?
Selbst auf einer winterlichen Reise in Rumänien — dem Nachbarland Serbiens — unterwegs, wird mit sich der Serbienkenner J.v. Königslöw dem vielgescholtenen Handkeschen Bericht. - Wie findet ein heutiger Mensch zum >historischen Gewissen<, zu spiritueller Einsicht, aus der heraus er sich aufklären und urteilskräftig machen kann?«, fragt er und kommt zu dem Ergebnis:»Ein Lehrstück darüber, wie man diesen Anspruch verfehlen kann, ist Peter Handkes Reisebericht.«
Eine Ausstellung in Essen
Zu Gerd Koenen: ›Im Widerschein des Krieges‹*
Jeder Mensch, der heute nicht nur bloß dahinlebt, ist betroffen und belastet durch den Krieg in der Ukraine; als verheerendes Unwetter, als Entsetzen, als dunkles Rätsel hängt er über Europa und der Welt. Dieser Krieg hat inzwischen eine Flut von Büchern hervorgebracht, die ihn erklären, Thesen vertreten, Emotionen und Hass schüren, Friedensappelle an die Welt richten und kluge Diskurse darüber führen, wie es dazu kommen konnte. Kein Buch aber – soweit ich das überblicke – gibt Kunde von einem »Nachdenken über Russland« angesichts eines Krieges, dessen mörderischen Schein uns die Medien zeitnah und unmittelbar ins Haus bringen. Als Widerschein im menschlichen Denken, Betrachten und Beurteilen sich spiegelnd, wird dieser Krieg zwar nicht weniger höllisch, ist aber kein lähmendes Fatum mehr.
Die »Russische Welt« und das geistige Russland
Unter dem Titel ›Darf es eine freie Ukraine geben?‹ versuchte der Verfasser im März/April-Heft dieser Zeitschrift – noch ganz unter dem Schock des russischen Überfalls auf die Ukraine stehend – dem Grund des Handelns von Präsident Wladimir Putin nachzuspüren. Ausgangspunkt war die Analyse seiner Kriegserklärung, der langen »historiosophischen« Ansprache vom 21. Februar 2022. Umrisshaft trat als Ergebnis das Bild eines – bei aller mörderischen Aktualität – atavistischen, autokratischen, russisch-ostslawischen Staates in Erscheinung, der sich die Rettung, Verteidigung und Ausbreitung der »russkij mir«, der »Russischen Welt« – auf die Fahnen geschrieben hatte.Wenn wir von »Putins Krieg« oder »Russlands Krieg« sprechen, dann sind das Abstraktionen, hinter denen als Konkretum der Begriff (oder das »Wesen«) dieser »Russischen Welt« steht. Was aber ist die »russkij mir«? (Wobei »mir« ja im Russischen doppeldeutig ist und sowohl »Welt« als auch »Frieden« bedeuten kann.
Die Flutkatastrophe an Ahr und Erft
Wir stehen noch immer unter dem Eindruck einer Flutkatastrophe, wie wir sie in diesem Ausmaß in unseren Gebieten noch nie erlebt haben. Sie betraf vor allem das Rheinland und Westfalen; lang andauernder Starkregen ging vom Sauerland über die Eifel bis in die angrenzenden Gebiete Belgiens und Luxemburgs nieder. Mehr als 200 Menschen kamen in den Sturzfluten ums Leben, manche bleiben bis heute vermisst. Nicht die großen Ströme Rhein und Donau, Elbe und Oder waren diesmal die Hauptakteure der Ereignisse, die man voreilig gern »Jahrhundert-Fluten« nennt, sondern kleine Flüsse und Bäche, durch deren enge Täler meterhohe – bisher unvorstellbare – Flutwellen stürzten, die alles wegrissen, was ihnen im Wege war. Die Schäden in den betroffenen Gebieten sind noch unermeßlich.
Eine Johanni-Imagination
Das Johannifest ist ein Mysterienfest - auch wenn diese Qualität dem heutigen Alltags-Bewusstsein so gut wie unbekannt ist. Wie kann ein solches Fest begangen werden - und mit wem? Man feiert es normalerweise nicht allein, sondern mit Menschen, die auch auf dieses Fest der Jahreshöhe eingestellt sind. Es ergab sich in diesem Jahr aber für mich, dass ich es allein, ganz individuell, begehen musste.
Rudolf Steiner beginnt seinen als »Johanni-Imagination« bekannten Vortrag vom 12. Oktober 1923 mit der Bemerkung, wir – also seine Zuhörer, seine Mitmenschen – hätten »die Betrachtungen, die wir anstellen, viel geistiger anzustellen als für die vorhergehenden Jahreszeiten.« Als eine stille, strenge innere Forderung war mir das bei allem, was ich erlebte, gegenwärtig, auch wenn mir bewusst war, wie unvollkommen nur ich diesem Anspruch würde genügen können. Trotzdem möchte ich hier schildern, wie ich dieses Jahr den Nachmittag und Abend des Johanni-Tages verbrachte und erlebte – nicht meinetwegen, sondern als Beispiel dafür, wie sich ein solches nFest heutzutage in eine ganz individuelle Gestalt prägen kann – und wohl auch will ...
Mitteleuropa und die Balkanländer
Es ist in diesem Jahr schon viel zur Entstehung, zum Verlauf und den Folgen des Ersten Weltkriegs gesagt worden. Hier soll der Blick speziell auf den Schauplatz des Kriegsausbruchs 1914 gelenkt werden: auf Sarajevo, auf Bosnien, Serbien und die Balkanhalbinsel. Es soll von diesem Schicksalsort und diesem Schicksalsjahr 1914 aus zum einen in die Geschichte zurück, zum anderen aber in unsere Gegenwart vorausgeblickt werden, in eine Gegenwart, in der die Folgen von 1914 in tragischer Weise noch immer andauern und als unverheilte Wunden Mitteleuropa noch immer brennen und schmerzen. Es ist gut, das Bewusstsein darauf zu lenken, um damit etwas zur Selbsterkenntnis Mitteleuropas beizutragen. Diese unverheilte Wunde Europas, insbesondere Mitteleuropas ist die Grenze zwischen Ost und West, in der sich der Weltgegensatz zwischen östlicher und westlicher Geistesart in Mitteleuropa manifestiert – historisch und zugleich real als heutige Lebenswirklichkeit.