Das Wort zeitgenössisch läuft einem alle naselang über den Weg. Aber wirklich begegnet bin ich ihm bisher, wie so vielen anderen Wörtern, noch nie. Zeitgenössische Musik, Politik, Literatur, Kultur, Gesellschaft ... Das Wort enthält einen deutlichen Hinweis auf die Gegenwart und nicht selten ist ihm ein Unterton beigegeben, der das Bezeichnete nachdrücklich von allem Veralteten und überholten abheben soll. Kein Revival, keine ollen Kamellen, keine Erinnerungen und alten Geschichten. Zeitgenössisch ist der Bonuspunkt all dessen, was sich im gesellschaftlichen Hier und Jetzt behauptet: zeitgenössischer Tanz, zeitgenössische Patchworkfamilien, zeitgenössischer Journalismus. Zeitgenössisch ist »jung«, »neu«, »fortschrittlich«, »aktuell«, und dass es dabei auch zeitgemäß ist, scheint sich fast von selbst zu verstehen. Selbst dort, wo ihm Negatives bescheinigt wird, hat das Zeitgenössische allem Vorangegangenen die gegenwärtige Präsenz voraus. Das Wort ist ein Gegenbegriff, nicht nur zum Gestrigen und Ewiggestrigen, sondern auch zur sogenannten »guten alten Zeit« und den verdienten - in manchem der Gegenwart vielleicht sogar überlegenen - Vorfahren, die aber doch den entscheidenden Nachteil haben, nicht mehr unter uns zu weilen und sich daher nicht mehr aktiv an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens beteiligen können.