Artikel von Ute Hallaschka
Er ist eine der schillerndsten Figuren im aktuellen Kunstbetrieb. Der »Erzkünstler«, wie er sich nennt, Jonathan Meese polarisiert das Publikum. Vor einiger Zeit gab es einen Bruch in seiner künstlerischen Laufbahn. Da reckte er in einer Podiumsveranstaltung des ›Spiegel‹ die Hand zum Hitlergruß. Für diese Geste, die als Kritik im Rahmen einer künstlerischen Aktion gemeint war, wurde er angeklagt und später freigesprochen. Künstlerische Freiheit, ausdrücklich bestätigt als Ergebnis eines Strafprozesses – das ist einerseits ganz im Sinne von Meeses Erzkunstverständnis, andererseits hat ihn dieses Missverständnis seiner Kunst schwer beleidigt. Ihm, auch im wörtlichen Sinne, Schaden zugefügt: Kündigung seiner Galerie, Rauswurf aus Bayreuth, wo er den ›Parsifal‹ gestalten sollte und wohl auch gerne wollte, denn er verehrt Richard Wagner über alles.
I Shakespeare – tiefergelegt; II Schlingensief – aufschrei(b)end
Ich schaue in den Himmel. Wolkenlos. Ein Flugzeug glitzert in der Sonne, schwebend zieht der Rotmilan seine Kreise. – Ich war eine Weile krank, aus dem Körper ausgeflogen, und bin noch nicht ganz wieder zurück, angekommen im leiblichen Selbstverständnis. Ist man gesund, dann stehen die Sinne offen, wie Türen, durch die man ein- und ausgeht. Jetzt muss ich sie selber öffnen. Die Plastizität des Sehens verlangt Krafteinsatz, der aus Erfahrung stammt. Im ersten Augenblick sah ich Milan und Flugzeug auf derselben Ebene, nebeneinander. In Wirklichkeit trennten den Vogel und das Fluggerät natürlich Tausende Höhenmeter – was ich dann einsah.
›Faust, der Tragödie erster Teil‹ am Goetheanum
Diesen Artikel können Sie sowohl kostenlos lesen als auch kaufen. Mit letzterem unterstützen Sie unsere Arbeit. Vielen Dank!
Ich glaube nicht an die Macht der Bilder. Bilder, die keine Originale sind. Originale sind immer selbsterzeugt. Auch wenn sie an der Wand hängen – scheinbar. Man muss zwar hingehen, um sie zu sehen, aber verwirklicht werden sie im Auge des Betrachters. Nirgendwo sonst. Insofern sind Originale immer Eigenwerk, ob nun stofflich als Vorlage für das schöpferische Nachbild oder gänzlich imaginativ in der eigenen Einsichtskraft erschaffen. Die Kraft der Einsicht ins Offene – nur wenn sie angesprochen wird, auf Augenhöhe, bildet sich Werk.
Ein Bekenntnis
Seit Jahrzehnten dasselbe Erlebnis: Ich schaffe es nicht, die sogenannte Willensübung durchzuführen. Warum? Weil mir das Gleiche widerfährt wie im Sportstudio auf Laufbändern, Fahrrädern oder anderen Ertüchtigungsgeräten. Ich leide am Stumpfsinn der Tätigkeit, sie langweilt mich in ihrer Routine. Über kurz oder lang fühle ich mich wie in einer Warteschleife, gebannt in einen sinnlosen, künstlichen Ablauf.
Kleine Auferstehung mit Krähen
Seit wie vielen Tagen – oder sind es schon Wochen – rüttelt jetzt der Sturm am Haus? Alles klappert, von den Ziegeln bis zu den Läden. Wie Atemstöße zieht es durch die undichten Stellen, weht eiskalt in meinen Nacken. Draußen ächzt es. Es stöhnt, brüllt, wimmert, seufzt. Tobende Luftmassen. Es ist die Stimme der Erde. Allmählich fühle ich mich wie in Albert Camus’ Roman ›Der Fremde‹. Was ich vorher nie verstanden habe, wie der Wind als Naturkraft einen Menschen so um seine Fassung bringen soll, dass er einen Mord begeht, wird mir jetzt nachvollziehbar. Es ist Groll in diesen Böen und Bosheit in der Luft.
Eine Liebeserklärung
Wenn die Welt Bühne wäre – ganz und gar? Ort der Erscheinung. So sehen sie vermutlich die zur Welt kommenden Kinder seit jeher. Neu ist jedoch die Tatsache, dass sich innerhalb der Welt dieselbe Wahrnehmung ergibt wie jenseits von ihr. Die selbstverständliche Erfahrungsweise ist inzwischen das Bild – nicht im Sinne der Analogie, der Abbildung oder der Trennung zwischen Sein und Schein, sondern als neue einheitliche Seinsqualität. Weltwirklichkeit als Bildwerdung – damit ist das Scheinbare nicht länger als Anschein zu verstehen. Weder vor dem Spiegel noch hinter dem Scheinwerfer ist die Quelle des Wirklichen aufzufinden. Den Schein nicht mehr als Ausdruck eines Ansich-Seienden zu erfahren, sondern darin den Entwurf eines Sich-Lichtenden zu sehen – so kommen wohl heute die Kinder zur Welt. Originalität lässt sich nicht mehr als Standbild auf unerschütterlichem Grund besichtigen. Nur im Prozess, in der Erscheinungssphäre, im vollen Licht öffentlicher Vorgänge kann sie geortet, bezogen, identifiziert werden.