Zur Ausstellung ›fontane.200/Brandenburg – Bilder und Geschichten‹ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam
Der 200. Geburtstag Theodor Fontanes (*30. Dezember 1819; † 20. September 1898) wird gegenwärtig in Berlin und Brandenburg unter der Überschrift ›fontane.200‹ mit einer Fülle von Veranstaltungen begangen, darunter die am 7. Juni eröffnete Ausstellung ›fontane.200/Brandenburg – Bilder und Geschichten‹ im ehemaligen Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam, der heute als Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte dient. Sie ergänzt die seit dem 30. März 2019 laufende Leitausstellung ›fontane.200/Autor‹ in Neuruppin und eine Reihe kleinerer Ausstellungen.
Zur Ausstellung ›Poesie der venezianischen Malerei‹ in der Hamburger Kunsthalle
Bei Regenwetter nach Hamburg zu fahren ist kein Vergnügen, schon gar nicht bei leichtem Regen, der kaum durchnässt, aber alles grau in grau erscheinen lässt und das Gemüt niederdrückt. Nur gut, dass die Kunsthalle nahe am Bahnhof liegt, und dass die Binnenalster durch die Spiegelung ein wenig Licht herüberwirft. Nach meiner Besichtigung der Ausstellung sah die Welt ganz anders aus. Die Leuchtkraft der über vierhundert Jahre alten Bilder hatte meine Wahrnehmung verändert. (Nicht besonders nachhaltig übrigens, denn nach einem Fußweg hinüber zum Bucerius-Kunstforum – es regnete weiterhin – und nachdem ich die dortige, noch bis zum 1. Mai geöffnete Paula-Modersohn- Becker-Ausstellung besichtigt hatte, war meine Wahrnehmung ein weiteres Mal verändert.) Mich ließ das einmal mehr nachdenken über das Verhältnis zwischen Kunst und Leben.
Zum Gedenken an den 650.Todestag von Francesco Petrarca (* 20. Juli 1304 in Arezzo - t 19. Juli 1374 in Arquà)
Petrarca war ein italienischer Dichter und Historiker. Mit Dante und Boccaccio wurde er zum Begründer des Humanismus in Italien. Angesichts seines Riesenwerkes kann die folgende Betrachtung nur ein Streiflicht sein.Francesco Petrarca wurde am 20. Juli 1304 in Arezzo gehören. Seine Eltern lebten in schwierigen, fast ärmlichen Verhältnissen, da sie aus der Heimatstadt Florenz verbannt waren. Der Vater Pietro di Parenzo gehörte als Notar zum Kleinbürgertum. Schon 1302 war er aus Florenz ausgewiesen worden, im gleichen Jahr wie Dante Alighieri (1265-1321), weil auch er zur politischen Partei der weißen Cuelfen (kaiserfreundliche Anhänger des Papstes) gehörte. Bis zu seinem siebten Lebensjahr hatte das Kind deshalb ein unruhiges Leben in der Toskana. Erst als die Familie von Pisa an den päpstlichen Hof in Avignon ging und sich im provenzalischen Carpentras ansiedelte, wurde es besser. Hier wurde Francesco mit seinem jüngeren Bruder Cerardo in Crammatik und Rhetorik unterrichtet. Sein Lehrer Convenevole da Prato weckte in ihm die Liebe zu Cicero.
Anmerkungen zur ›Aenigma‹-Ausstellung
Über die ›Aenigma‹-Ausstellung mit anthroposophisch inspirierter Kunst aus der ersten Hälftedes 20. Jahrhunderts haben wir in der letzten Juli/August-Nummer eine ausführliche Rezensionvon Johannes Nilo veröffentlicht. Zuvor war schon in der April-Nummer mit dem Fundstück XVdes Rudolf Steiner-Archivs ein erster Vorblick erschienen. Als uns das handschriftliche, mit breiterKalligraphie-Feder verfasste Manuskript des folgenden Beitrags unaufgefordert erreichte, entschiedenwir uns dennoch für eine Veröffentlichung. Der Autor ist bildender Künstler, war einer der Begründerder Alanus-Hochschule in Alfter und leitete von 1972 bis 1985 deren Bildhauer-Abteilung. So sprichtaus seinen Worten die Erfahrung eines langen Lebens mit der Kunst und mit der Anthroposophie.Wir hoffen, dass unseren Lesern diese Perspektive genau so wertvoll ist wie uns.
›Meine Zeit mit Cézanne‹ heißt ein Film, der letztes Jahr in den Kinos lief und der von Cézannes Freundschaft mit Emile Zola handelt. In diesem Film führen die zwei Künstler – der Schriftsteller und der Maler – eine Diskussion, die rein erfunden ist. Zola (1840–1902) und Cézanne (1839–1906) kannten sich von Kindesbeinen an; sie waren in Aix-en-Provence aufgewachsen und hatten mindestens 34 Jahre lang den Kontakt aufrechterhalten. Als Zola 18-jährig nach Paris zog, begann ein reger Briefwechsel zwischen den beiden. Doch während Zola schon bald seinen Erfolg als vielgelesener Romancier feiern konnte, war Cézanne immer noch verzweifelt auf der Suche. In Paris ließ er sich nie dauerhaft nieder; die meiste Zeit verbrachte er malend in der Provence.
August Macke zu Pandemie-Zeiten im Museum Wiesbaden
August Macke, am 3. Januar 1887 geboren, war in mehrfacher Hinsicht ein Ausnahmekünstler, der zu Unrecht oft im Schatten von Franz Marc, Wassily Kandinsky oder Paul Klee steht. Zum einen hat er schnell die akademische Kunst seiner Zeit überwunden und gehörte nach einem kurzen impressionistischen Zwischenspiel zur Speerspitze der Avantgarde. Er hat sich durch seine Pariser und Münchener Kollegen anregen lassen, aber bald seinen eigenen Stil gefunden – nicht zuletzt durch den räumlichen Abstand, den er gesucht hat: Nach nur zehn Monaten in der Gegend von München ist er im November 1910 in seine Heimatstadt Bonn zurückgekehrt, ohne jedoch seine Beziehungen zu den Freunden des ›Blauen Reiters‹, insbesondere zu Franz Marc, aufzugeben. Und vor allem: Er hat sich bis zu seinem frühen Soldatentod am 26. September 1914 einen weitgehenden Optimismus bewahrt, von dem sein nur zehnjähriges künstlerisches Schaffen getragen ist.
Zeichnungen von Eva Hesse im Museum Wiesbaden
Das Werk der deutsch-amerikanischen Künstlerin Eva Hesse (1936–1970) wirkt erstaunlich gegenwärtig. Sie hatte sich künstlerisch entwickelt, als in den USA die Minimal Art als Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus entstand. Mit wichtigen Vertretern dieser neuen Richtung wie Sol LeWitt, Donald Judd, Carl Andre und Dan Flavin war sie zum Teil eng befreundet; der wie ihre Familie aus Deutschland geflohene Bauhäusler Josef Albers war einer ihrer Lehrer. Doch hat sie bald ihren ganz eigenen Weg gefunden, der sich auch in ihren Zeichnungen widerspiegelt, die jetzt im Zentrum der von Jörg Daur verantwortlich kuratierten Wiesbadener Ausstellung stehen. Die Leihgaben, zumeist aus dem Eva Hesse-Archiv des Allen Memorial Art Museum in Oberlin/OH, werden ergänzt durch das beachtliche Ensemble von Gemälden, Skulpturen und auch Zeichnungen aus dem Besitz des Museums Wiesbaden selbst. Gezeigt wird das ganze Spektrum von frühen Studienblättern aus College-Zeiten bis hin zu Skizzen für konkrete Skulpturen.
Ich und Europa IV
1. Ich bin am Mittelrhein Kind gewesen, geboren in Bingen in tiefem Winter. UNESCO-Kulturerbe, die heilige Hildegard und Stefan George. Als Jugendliche saßen wir an Sommerabenden am Rhein-Nahe-Eck, eine Flasche Riesling kreiste und wir schauten schweigend auf den unheimlichen Mäuseturm und die Germania am anderen Flußufer. Die vielen Burgen haben mein Gemüt weniger ausschließlich mit Deutschland verbunden als genauso mit anderen europäischen Ländern, die ich aus Ritter- und Kostümfilmen kannte. Da meine Eltern finanziell eher arm waren, gab es in den Ferien nie Reisen nach Italien oder Spanien. Meine Eltern fuhren jedes Jahr nach Bad Münster am Stein, und ich blieb zu Hause. Mein Europa entstand als Bild in meiner Seele. Mein Europa hieß Oberdiebach am Rhein. So lautet der Name des Dorfes, in dem ich aufwuchs. Es liegt im sogenannten Viertälergebiet. Fährt man von Bingen aus mit dem Schiff stromabwärts Richtung Loreley, passiert man die linksrheinischen Seitentäler, deren Höhenzüge in den Hunsrück übergehen, wo Edgar Reitz ›Heimat‹ gedreht hat. Wenn man im Ortsteil Rheindiebach einbiegt ins Diebachtal, sieht man die schroff thronende Ruine Fürstenberg, eine ehemalige Raubritterburg.
Zum Gedenken an Adam Smith (getauft am 16. Juni 1723 in Kirkcaldy – gestorben am 17. Juli 1790 in Edinburgh)
Adam Smith wurde vor 300 Jahren, am 16. Juni 1723 getauft, sein Geburtstag ist unbekannt. Er war ein schottischer Moralphilosoph, ein Aufklärer, und er gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie. Ich begegnete ihm in Edinburgh an zwei markanten Stellen: an seinem Denkmal neben der St Giles Kathedrale und dem Grabmal im Canongate Kirkyard, der an der Royal Mile nahe dem Holyrood Palace gelegen ist. Angesichts von Smiths Riesenwerk kann hier natürlich nur ein ausgewählter Teil betrachtet werden.
Zum 115. Todestag von Edvard Grieg (15. Juni 1843 – 4. September 1907)
Wer von Schweden aus die Grenze nach Norwegen übertritt, wird sogleich von zwei großen Trollen aus Stroh empfangen. Sie sehen nur bedingt vertrauenswürdig aus und bevölkern in kleineren, durchweg hässlichen Ausgaben ganz Norwegen, in allen Souvenirläden zumindest. Und sonst? – Von Strömstad in Schweden nach Sandefjord in Norwegen, im Bogen vor dem Oslofjord, ging die Fähre. Weiter fuhren wir mit dem Auto nach Skien, wo der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen (1828–1906) geboren und aufgewachsen ist. ›Thoras hyttan‹ (Thoras Hütte), von Einheimischen vermittelt und mehr als einfach, erschien als einzige Übernachtungsmöglichkeit. Die alten Götter scheinen hier noch lebendig zu sein. Ibsens Geburtshaus Stockmanngården steht nicht mehr, es lag in einer armselig wirkenden, stark abschüssigen Straße. Im Zentrum der Stadt steht sein Denkmal. Etwas außerhalb ist in dem Bauernhaus Venstøp, in dem er seine Kindheit verlebte, jetzt ein Museum eingerichtet.
Zur Ausstellung ›Emy Roeder. Das Kosmische allen Seins‹ im Landesmuseum Mainz
Mit einer Sonderausstellung würdigt das Landesmuseum Mainz aktuell eine der profiliertesten Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts – für die meisten dürfte sie jedoch eine Unbekannte sein. ›Emy Roeder. Das Kosmische allen Seins‹ zeigt mit rund 140 Exponaten eine umfassende Werkschau dieser Künstlerin.
Zum 50. Todestag von Nelly Sachs (1891 – 1970) und zum Andenken an Kurt Kehrwieder (1928 – 2020)
Der vorliegende Essay ist zum einen ein Nachruf auf den am 25. Februar gestorbenen Kurt Kehrwieder, der dem Werk von Nelly Sachs auf ungewöhnliche Weise gedient hat. Zum anderen mag er ein Aufruf sein, diese – wie es Kehrwieder ein Anliegen war – nicht nur als eine Dichterin des jüdischen Schicksals im letzten Jahrhundert zu sehen, sondern sie auch als eine tief Eingeweihte in unser Menschheits-Schicksal lesen zu lernen, welche die »lebendig flutende Bilderwelt des ätherischen Raumes bewegen und […] in das Gewand der Erdensprache hüllen« konnte.
Zur Ausstellung ›Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte‹ im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle a.d. Saale
Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle a.d. Saale und das British Museum in London haben in enger Kooperation eine spektakuläre Ausstellung mit rund 400 kostbaren Artefakten und Leihgaben aus 15 Ländern zusammengetragen. Die zum Teil erstmals in Deutschland ausgestellten Objekte beleuchten mit der Zeit von etwa 2500 v. Chr. bis 1000 v.Chr. das Ende der Stein- und den Großteil der Bronzezeit – eine noch kaum bekannte Epoche der Menschheitsgeschichte. Die Ausstellung präsentiert 20 Jahre neuer Forschungsergebnisse rund um die Himmelsscheibe von Nebra (um 1750 v.Chr.) und zeigt ein Netzwerk vielfältiger Einflüsse und Zusammenhänge im gesamteuropäischen Raum auf, bis nach Ägypten und Mesopotamien. Und sie stellt die Frage nach staatlichen Strukturten im schriftlosen (!) Mitteldeutschland zur Zeit der Himmelsscheibe.
Ein Rückblick auf der Suche nach Zukunft
Vor einigen Jahren durfte ich miterleben, wie ein auf den Tod kranker Mensch in guten Momenten im Garten mit seinen Händen in der Erde arbeitete – den schweren Lehmboden mit Sand vermischend, um den Pflanzen das Wachstum zu erleichtern. Er war ganz hingegeben dieser Tätigkeit, als ob er die Erde durch sich hindurch und dabei auch sein eigenes Leben bewegte, auf ein Neues hin. Edgar Harwardt, der »Gärtner von Stuttgart«, arbeitet an und mit der Erde als Handlungskünstler und bewegt so ebenfalls etwas im Außen wie im Innen – an meist unauffälligen, teils unterirdischen Orten in seiner Heimatstadt sowie entlang des Neckars. Das kann eine Schleuse, ein Stadtbahntunnel, eine Fußgänger-Unterführung, der Keller der Stuttgarter Erdbebenwarte, eine Straßenecke, eine Brache oder eine Baugrube sein: Orte des Alltagslebens, Orte mit mehr oder weniger unbekannter Vergangenheit oder Orte, an denen etwas Neues entstehen soll. Seine Aktionen sind oft verbunden mit der Aufhebung von Erde, Staub oder Asche mittels Wasser, das er in saugfähigem Fließpapier aufsteigen lässt, in dem die Substanzen dann ihre Spuren hinterlassen. Diese Steig-Bilder – »in ihren oszillierenden Verläufen ähnlich den Seismogrammen des Erdenlebens« – sind Dokumente eines konkreten Geschehens an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten, nie zufällig gewählten Zeitpunkt.
Zur Ausstellung ›Max Beckmann. weiblich-männlich‹ in der Hamburger Kunsthalle
Oft sind es Kleinigkeiten, die bei einem Kunstwerk viel aussagen. Es empfiehlt sich, genau hinzuschauen, mit einem zweiten und dritten Blick dem Werk noch näher zu kommen, vielleicht gefördert von hilfreichen Hintergrundinformationen. Das wurde mir einmal mehr bei dieser Ausstellung klar, besonders an einem Beispiel: dem ›Bildnis Ludwig Berger‹ (Abb. 1), das Max Beckmann (1884-1950) im Jahre 1945 geschaffen hat. Auf den ersten Blick scheint das Ölgemälde zu der üblichen Vorstellung zu passen, die sich zu Beckmann herausgebildet hat: betont männlich, tatmenschenhaft. Der berühmte Theater- und Filmregisseur pflegte im Amsterdamer Exil engen freundschaftlichen Kontakt zum Ehepaar Beckmann. Berger hatte das Porträt selbst veranlasst, aber es gefiel ihm nicht. Warum? Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass Berger in der rechten Hand eine Blume hält, mit der er offenbar sanft über den linken Handrücken streift. Die Beigabe von Blumen ist in Beckmanns Porträts sonst Frauen vorbehalten. Bei Berger ist es ausgerechnet eine Lotusblüte, Symbol der Fruchtbarkeit, der Weisheit und spirituellen Erleuchtung – und des göttlichen wie menschlichen Hermaphroditen (laut Helena Petrovna Blavatskys ›Geheimlehre‹, die der Katalog auf S. 121f. zitiert). Berger war (verdeckt) homosexuell und hat die weiblich anmutende Geste vielleicht als Anspielung darauf empfunden. Dass Beckmann davon wusste, ist aber nicht nachweisbar; vielleicht wollte er nur auf den feinen Kunstsinn des Freundes anspielen. Die Gestaltung der Hände spricht auch dafür. Als Berger Beckmann fragte, ob er sich mit der Blume über ihn habe lustig machen wollen, antwortete der: »Nee-nee ... So SIND Sie!« (Zitiert im Katalog auf S. 122)
Zur Ausstellung ›revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933‹ im Sprengel Museum Hannover
Nach meiner ersten Besichtigung der Ausstellung habe ich mich gefragt: Welche Art der Darstellung war für dich am eindrücklichsten, welches Werk wirst du als Besonderheit in Erinnerung behalten? Das dunkle Ölgemälde mit den ausdrucksstarken Gesichtern oder die archetypisch wirkende Maske? Die in Öl auf Sperrholz gemalte alte Frau im Bett oder der Frauenkopf aus rotem Stein? Die völlig abstrakte Komposition mit Holzrahmenfragment und Holzkugelsegment oder das Foto von einem dürren Bäumchen in karger Winterlandschaft? Das realitätsnahe Bild einer Menschenschlange vor dem Arbeitsamt oder das stark vereinfachte, von Farbflächen geprägte Plakat? Was muss das für eine gärende Zeit in Hannover gewesen sein, in der all diese unterschiedlichen Werke geschaffen oder ausgestellt wurden!
Zur Ausstellung ›Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa‹ im Landesmuseum Mainz
Eine Ausstellung, in der die Leihgaben aus so verschiedenen Orten wie dem Pariser Louvre und Limburg an der Lahn stammen, wäre mir bisher unvorstellbar gewesen. Nun ist eben dies im Landesmuseum Mainz in der Ausstellung: ›Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa‹ zu sehen. Es empfiehlt sich, ein Zeitfenster-Ticket im Voraus online zu erwerben. Die Herrschaftsbasis der großen Dynastien des Mittelalters war der Mittelrhein, eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrallandschaft Europas. Die Mainzer Ausstellung vermittelt eine einzigartige zeitlich-räumliche Perspektive auf dieses Gebiet. Sie behandelt Fragestellungen, die anhand ausgewählter Kaiserpersönlichkeiten aus den vier großen Herrschergeschlechtern – Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer – durch fünf Jahrhunderte verfolgt werden, flankiert von sogenannten Korrespondenzstädten. Diese in der Umgebung gelegenen Städte veranstalten nicht nur Programme parallel zur Mainzer Ausstellung, sondern sind jeweils auch Originalschauplätze – hier finden sich Schlösser, Dome, Burgen und andere architektonische Zeugnisse in großer Zahl.
Zu Kurt Almqvist & Daniel Birnbaum: ›Hilma af Klint. Catalogue Raisonné Volume VII‹
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts gilt Hilma af Klint (1862–1944) als eine der herausragenden Gestalten im Umbruch von der gegenständlichen zur »abstrakten« Malerei der Moderne. Wenn auch nicht in ihrer eigenen Zeit unmittelbar einflussreich, hat ihr Werk nach dessen Entdeckung dennoch einen wichtigen Beitrag für die kunstgeschichtliche Forschung geliefert, spirituelle Dimensionen und Motivationen für die Wahl ungegenständlicher Motive am Beginn des 20. Jahrhunderts ernst zu nehmen, statt letztere auf rein formale Überlegungen zurückzuführen. Ausdruck dieses Paradigmenwandels waren groß angelegte Ausstellungen wie etwa ›Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian‹ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt im Jahre 1995.
Zur Ausstellung ›Mykene – Die sagenhafte Welt des Agamemnon‹ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe
Auch die Geschichtsschreibung ist Kunst. Wie der Einsatz von Phantasie tatsächlich Wirklichkeit zutage fördert, belegen eindrucksvoll die Grabungen Heinrich Schliemanns, der zunächst Troja und dann Mykene entdeckte – alles auf der Basis von Literatur, die der wissenschaftliche Laie als Information wörtlich nahm: die Reiseberichte des Pausanias, die vielfach überlieferten Mythen und allen voran ›Ilias‹ und ›Odyssee‹ von Homer: »Sobald ich sprechen gelernt, hatte mir mein Vater die grossen Thaten der Homerischen Helden erzählt. Ich liebte diese Erzählungen; sie entzückten mich, sie versetzten mich in hohe Begeisterung.«
Sir Walter Scott (1771–1832) zum 250. Geburtstag
Durch Selma Lagerlöf erfuhr ich zum ersten Mal von Walter Scott in dem Sinne, dass man ihn kennen muss: ›Ivanhoe‹ hatte sie zuerst bezaubert. Im Bücherschrank ihres Onkels fand sie Scotts Werke. Von Scott wurden Edward Bulwer-Lytton, George Eliot, Victor Hugo, Wilhelm Hauff und Theodor Fontane inspiriert. Goethe war von ›Waverley‹ begeistert. Als wir eine Schottland-Reise planten, las ich zuvor ›Ivanhoe‹ und ›Waverley‹. Im Übrigen spielte auch Theodor Fontane mit herein: durch die Fontane-Ausstellung 2019 in Potsdam und sein Buch ›Jenseit des Tweed‹ (1860), in dem er seine Schottlandreise von 1858 beschrieb. »Nach Schottland also!«3 Mit diesen Worten beginnt das Buch. Wir waren somit neben Scotts auch auf Fontanes Spuren.
Zu Edvard Hoem: ›Der Geigenbauer‹
Zugegeben, ich musste inneren Widerstand überwinden, als es darum ging, nach der ›Hebamme‹ (Stuttgart 2021) ein weiteres Werk des Norwegers Edvard Hoem vorzustellen. Wieder ein Roman, der den Spuren eines bzw. einer Verwandten folgt? Ist das die Masche eines Bestseller-Autors? Mag sein. Auf den zweiten Blick aber zeigte sich, dass die Ansätze der beiden Romane grundverschieden sind, und das machte sie für mich dann doch interessant. Kurz gesagt werden zwei unterschiedliche Wirkensöglichkeiten des Schicksals vorgestellt: Die ›Hebamme‹ weiß von Jugend an, dass sie Hebamme werden will; Lars Olsen Hoem, der spätere Geigenbauer, hat einen ganz anderen Wunsch, nämlich den, ein eigenes Schiff, eine Schute zu besitzen und zu führen, und findet erst nach verschlungenen Pfaden zu seinem eigentlichen Schicksalsauftrag. Den klar zu erkennen und anzunehmen gelingt den wenigsten. Manchen gelingt es rückblickend in die Vergangenheit; anderen in der Gegenwart, aber nicht für die Zukunft. Alle Varianten sind möglich. Manchmal sind helfende Hände beteiligt und nötig (vgl. S. 334), doch gibt es auch herausragende Menschen, die das, wofür sie ausgewählt wurden, als Auftrag an sie persönlich empfinden, unwiederholbar und nicht übertragbar. Meistens gibt es Widerstände – sie müssen überwunden werden, dazu sind sie da. In der Regel offenbart sich der Schicksalsauftrag in menschlichen Begegnungen.
Ein stiller Film, hinter dem das Ewige spürbar wird
Zwei aktuelle Lehrstücke über Ambivalenz
In den vergangenen Wochen schlugen in der deutschsprachigen Theaterszene zwei Ereignisse hohe Wellen. Das eine war die Aktion der rund 50 teils sehr bekannten und erfolgreichen Schauspielerinnen und Schauspieler, die in satirischen Videos die politische Kommunikation der Corona-Schutzmaßnahmen kritisierten (›#allesdichtmachen‹). Ihnen schlug heftiger Gegenwind entgegen, doch erfuhren sie auch Dankbarkeit und Zustimmung. Das andere Ereignis mag nur innerhalb der Branche Thema gewesen sein, allerdings berichteten viele überregionale Feuilletons darüber. Es geht dabei um Machtmissbrauch und Mobbing am Berliner Maxim Gorki-Theater, das zuletzt noch als Bühne des Jahres ausgezeichnet worden war und seit dem Wechsel zur Intendanz von Shermin Langhoff als das moralisch und künstlerisch vorbildhafte, radikal zeitgemäße und politisch korrekte Theater galt. Nirgendwo bildeten sich so deutlich und selbstverständlich Migration und Diversität in Rollenbesetzungen, Stückauswahl sowie Diskursformaten ab. Um es pointiert zu sagen: Dem großen Shitstorm ›#allesdichtmachen‹ gegenüber wirkte das Maxim Gorki-Theater bislang wie ein medial gefeiertes »allesrichtigmachen«. Doch nun kam heraus, auf der Basis zahlreicher Aussagen von dort Angestellten, dass auch in diesem Betrieb ein »Klima der Angst« herrsche und immer geherrscht habe, und dass innen wenig so war, wie es nach außen dargestellt wurde.
Über ›Falling‹ von Viggo Mortensen und ›Ich bin dein Mensch‹ von Maria Schrader
Erstaunlich im Grunde, dass es diese Einrichtung immer noch gibt: Wildfremde Menschen begeben sich körperlich zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort, um dort gemeinsam einen Film zu sehen. Das schon so oft totgesagte Kino ist offenbar nicht umzubringen. Kino als Erlebnisgemeinschaft verschafft einen Eindruck von der Intimität des Öffentlichen. Astrale Wogen und Welten, ein Fühlen, das nicht individuell von innen, sondern äußerlich ausgelöst, technisch aus der Peripherie über die Zuschauer kommt – das ist ein interessantes Studienfeld. Ist man sich dessen bewusst, wie der Zuschauerorganismus als Klaviatur oder Instrument bespielt wird, lässt sich umso leichter einsehen, was den Zeitgeist gerade bewegt.
Zur Ausstellung: ›Mithras. Annäherungen an einen römischen Kult‹ im Archäologischen Museum Frankfurt
Ich hatte einen Traum: Splitterfasernackt stand ich in einem Museum – und es war kein bisschen peinlich. Darüber musste ich nicht lange grübeln: Es handelte sich um eine Reminiszenz an den Vortag. – Mein Besuch der Mithras- Ausstellung in Frankfurt am Main hinterließ nachhaltige Seelenspuren. Eben das, was das Traumbild zeigte, l.sst sich dort hellwach erleben. »... denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht.« Diese Zeile stammt von Rilke, aus seinem Gedicht: ›Archaischer Torso Apollos‹, mit dem berühmten Schlusswort: »Du mußt dein Leben ändern.« Soll heißen: sich selbst in der Totalität der eigenen Person von einem Kunstwerk aus gesehen, wahrgenommen zu erleben, ist immer eine erschütternde Geisterfahrung. Ich werde wieder darauf zurückkommen.
Zur Ausstellung ›Mantegna und Bellini – Meister der Renaissance‹ in der Gemäldegalerie in Berlin
In der Malerei kann ein und dasselbe Motiv die unterschiedlichsten »Interpretationen« erfahren, je nachdem, wie es gemalt wird. Ist schon die Wirkung eines Musikstückes abhängig vom »Interpreten«, der es aufführt, so gilt dies umso mehr für die Farbwahl eines Bildes, den Aufbau, die Strichführung, den Umgang mit dem Licht, die Perspektive und vieles andere. Die vergleichende Betrachtung von Bildern desselben Motivs kann helfen, diese formalen Gestaltungselemente stärker in den Blick zu bekommen. Zu solchen Vergleichen lädt derzeit die von den Staatlichen Museen zu Berlin und der National Gallery, London in Kooperation mit dem British Museum veranstaltete Sonderausstellung ›Mantegna und Bellini‹ ein.
Die Dichterin Selma Merbaum (geb. am 15. August 1924 in Czernowitz, gest. am 16. Dezember 1942 im Arbeitslager Michailowka am Bug)
Die wahrscheinlich nie bis in ihre letzte Verzweigung ausleuchtbare Rettungsgeschichte dieser 58 Gedichte ist wunderbar und unendlich bitter zugleich, weil sie erst beginnen konnte, nachdem ihrer Schöpferin, einem 18-jährigen Mädchen, auf gnadenlose Weise das Leben genommen worden war. Auch ihr »Tod«, den Paul Celan für alle Zeiten gültig als »Meister aus Deutschland« personifiziert hat, geht auf das Schreckenskonto der SS, die Tausende zur Zwangsarbeit deportierte Czernowitzer Juden ermordete – ein Genozid, der sich zwischen 1941 und 1943 im damaligen Rumänien als Teil des planmäßig vorangetriebenen Vernichtungsfeldzugs gegen die europäischen Juden ereignete. Erst 2014 konnte die Germanistin Marion Tauschwitz – nach akribischen Archivforschungen – diesem Mädchen seinen richtigen Namen zurückgeben: Selma Merbaum.
Henry Moore in Münster
Von Norden her, dem Domplatz kommend, werde ich in dem von Alt- und Neubau dreiseitig umschlossenen Eingangshof des LWL-Museums für Kunst und Kultur gleich von einer der mächtigen Großbronzen von Henry Moore empfangen: ›Two Piece Reclining Figure No. 5‹ (1963/64), die seit 1968 in Recklinghausen beheimatet ist. Diese zweiteilige Liegende wird gerade einer Schulklasse erklärt. Da tritt, aus dem Museum kommend, ein seriös wirkender älterer Herr zu den Schülern und macht seinem Ärger Luft: Das müsse hier weg; für ihn sei das ein Haufen getrockneter Scheiße. Und dann schwärmt er von Botticellis Bildern als dem Inbegriff von Schönheit … Die vielleicht dreizehnjährigen Schüler lachen etwas verunsichert, doch die engagierte Pädagogin greift die Situation geschickt auf. Offensichtlich rumort der Kulturkampf um die heute längst zum Kanon der Klassischen Moderne gehörende Kunst immer noch in einigen Köpfen.