Artikel von Claudius Weise
Claudius Weise im Gespräch mit Theo Stepp und Stephan Stockmar
Die Geschichte dieser Zeitschrift ist schon verschiedentlich dargestellt worden, zuletzt von Stephan Stockmar in die Drei 2/2011. Dem etwas in ähnlicher Form hinzufügen zu wollen, erscheint müßig. Deshalb wird hier versucht, in Form eines Gesprächs des gegenwärtigen verantwortlichen Redakteurs mit seinen zwei noch lebenden Vorgängern zurückzublicken – und nach vorn. Das Gespräch, das wegen der bekannten Umstände als Videokonferenz abgehalten wurde, war länger, heiterer und auch unverblümter, als es hier wiedergegeben werden kann. Wir hoffen, dass unsere Leserinnen und Leser ein bisschen von dem Vergnügen empfinden können, das die drei Beteiligten hatten.
Wie leben in Zeiten, die zur Polarisierung neigen. Tertium non datur heißt es da – und das kommt einer Zeitschrift, die sich die Drei nennt, nicht entgegen. So war gerade die Entstehung dieses Heftes von Erschwernissen und Misstönen begleitet. Unversehens zeigte sich der ernste Hintergrund dessen, was in meinem Gespräch mit Theo Stepp und Stephan Stockmar halb scherzhaft als das Schicksal dieser Zeitschrift bezeichnet wird: immer zwischen zwei Stühlen zu sitzen! Ich empfehle diesen Gedankenaustausch der aufmerksamen Lektüre.
Die wiederholten Vorwürfe des Rassismus und Antisemitismus gegen die Anthroposophie begleiten diese seit den frühen 90er Jahren. Den Anfang machte 1992 Jutta Ditfurth mit ihrem Buch ›Feuer in die Herzen‹, das in der Folgezeit von ihr mehrmals überarbeitet wurde. Hinzu kamen 1995 der Roman ›Blavatskys Kinder‹ und 1996 das Sachbuch ›Entspannt in die Barbarei – Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus‹. Auf dem damals eingeschlagenen Pfad hat Ditfurth zahlreiche Nachfolger gefunden, aber das argumentative Instrumentarium hat sich seither so wenig entwickelt, dass ein Artikel in der schweizerischen Zeitschrift ›Republik‹, der neulich die Verbindung zwischen ›Querdenkern‹ und anthroposophischer Szene ergründen sollte, konsequenterweise auf ein verehrungsvolles Interview mit der Doyenne der Anthroposophie-Kritik hinauslief.
War Joseph Beuys der erste deutsche Querdenker? So fragte unlängst besorgt ›Der Spiegel‹. In früheren Zeiten wäre dergleichen ein verklausuliertes Kompliment gewesen. Heutzutage, wo der Begriff des »Querdenkers« von einer Bewegung vereinnahmt wird, die auch zweifelhafte Elemente mit einschließt, und gleichzeitig das juste milieu einem rigorosen Konformismus huldigt, ist das ein schwerwiegender Vorwurf. Geistiges Abweichlertum wird in unserer FDGO inzwischen fast so hart verurteilt wie weiland im real existierenden Sozialismus, als Diamat und Histomat das Denken regulierten – mit dem Unterschied, dass der gegenwärtige Materialismus weder historisch noch dialektisch fundiert ist. Wozu auch? Anders als die Marxisten der Vergangenheit sehen sich die modernen Glaubenswächter nicht mehr im Wettbewerb verschiedener Weltanschauungen und reflektieren auch nicht, dass sie Materialisten sind, sondern wähnen sich einfach auf Seiten der »Wissenschaft«. Schon das Grundmotiv der Dialektik, dass man zur Wahrheit nur durch den Widerspruch gelangt, ist im Zeitalter der Alternativlosigkeit überholt. Wer auf der richtigen Seite steht, braucht von der anderen nur zu wissen, dass sie falsch ist.
Spirituelle Naturerlebnisse bilden den Schwerpunkt dieses Heftes, besonders solche, die in den Bergen möglich sind. Wir beginnen mit einem kulturgeschichtlichen Beitrag von Ruedi Bind, der unter dem Titel ›Als Hegel vor den Gletschern stand‹ unterhaltsam skizziert, wie die Alpen im Bewusstsein der europäischen Menschheit von einer furchterregenden Ödnis zu einem bezaubernden Sehnsuchtsort wurden. Nach diesem sanft ansteigenden Wegstück wird es etwas steiler, wenn sich Werner Csech in ›Die dunkle Seite der Fotografie‹ der schwierigen Frage zuwendet, was das Fotografieren einer Landschaft auf der ätherischen Ebene und insbesondere für die Welt der Elementarwesen bedeutet. Noch anspruchsvoller wird es in ›Der Fuji-san und die Not des japanischen Volksgeistes‹, denn hier beschreibt Johannes Greiner seine Wanderung auf einem der berühmtesten Berge der Welt und was er dabei innerlich erleben durfte. Wie solche Erfahrungen gezielt aufgesucht werden können, schildert dann Dirk Kruse in seinem Beitrag über ›Inspirationswanderungen‹, wobei er auch auf das eingeht, was während der Corona-Pandemie auf solchen Wanderungen wahrgenommen werden konnte.
Dass unsere Zeitschrift seit diesem Jahr nur noch alle zwei Monate erscheint, stößt bei unseren Leserinnen und Lesern überwiegend auf Zustimmung. Allerdings hat dieser neue Modus auch Nachteile. So erscheint das vorliegende Heft kurz nach der Bundestagswahl, musste aber schon vorher in Druck gehen. Wer die Ausführungen von Gerd Weidenhausen über ›Die Zuschauerdemokratie und ihre Akteure‹ liest, blickt deshalb bereits auf den Wahlkampf zurück, in dessen Endphase dieser Beitrag verfasst wurde. Die grundsätzlichen Fragen, die Weidenhausen bewegt, werden davon aber nicht berührt. Auch die Flutkatastrophe im Nordwesten Deutschlands, die Joachim von Königslöw in ›Vom Schicksal der Flüsse im Anthropozän‹ mit altersweisem Überblick betrachtet, verweist auf eine tiefgehende Krise, deren Bewältigung als Menschheitsaufgabe vor uns liegt. Ähnliches gilt für Sabine Adatepes bewegenden Bericht über die Lage der syrischen und afghanischen Flüchtlinge in der Türkei, der keineswegs als Kritik an diesem Land gemeint ist, sondern als Hinweis auf ein weitaus umfassenderes Problem.
Es fällt in diesem Jahr recht schwer, in eine weihnachtliche Stimmung zu kommen. Zu sehr ähnelt unsere gesellschaftliche Realität inzwischen einem dystopischen Roman oder einem sozialpsychologischen Experiment. Aber wir wollen es dennoch versuchen und einmal nicht über die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen sprechen – mit einer kleinen Ausnahme am Schluss dieses Editorials. Selbst unsere Beiträge zum Zeitgeschehen sparen es weitgehend aus. Stattdessen wenden sich Ute Hallaschka und Andreas Laudert identitätspolitischen Themen zu und werfen dabei auch selbstkritische Blicke auf die Anthroposophie, während Werner Thiede einmal mehr auf den problematischen Einfluss elektromagnetischer Strahlung auf unsere Gesundheit hinweist.