Anmerkungen zur Schulpflicht in Deutschland
Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen es eine Schulpflicht gibt, welche die Anwesenheit in einem Schulgebäude zwingend erforderlich macht. Bis zu den Lockdown-Maßnahmen der Jahre 2020/21 war sie derart tief in unserem Selbstverständnis verankert, dass sie so gut wie nie in Frage gestellt wurde – sichert sie doch auch den Besuch der Waldorfschulen und damit indirekt, durch die staatlichen Zuschüsse, deren Bestand. Mit dem ersten Lockdown im März 2020 geschah das bis dahin Unvorstellbare: Die Schulen wurden bundesweit geschlossen, nur in ganz besonderen Ausnahmefällen durften Kinder die Schulgebäude noch betreten. Durch diese für die Familien ganz neue häusliche Lernsituation trat auch eine schon länger bestehende Bewegung stärker ins Bewusstsein: Die Bewegung der Freilerner, die keine Schule im bei uns üblichen Sinne besuchen.
Erinnern Sie sich an die Zeit, als »Querdenker« ein Ehrentitel war? Noch vor fünf Jahren rief die ›Bertelsmann Stiftung‹, die durch staatsgefährdende Aktivitäten bisher nicht aufgefallen ist, ›Camp Q 2018 – Die Leadership Konferenz für Querdenker‹ ins Leben. Zwei Jahre später musste die Stiftung bereits ihre Wortwahl verteidigen: »Das Q steht bei uns als Symbol für Andersdenken, aber nicht für Verschwörungstheorien oder -gruppen. Wir verlassen gewohnte Pfade, hinterfragen, nehmen neue Perspektiven ein, rütteln wach, machen Dinge anders, denken voraus und erweitern Netzwerke – für all das stehen unsere Projekte und Veranstaltungsformate und damit auch das Querdenken im Kompetenzzentrum Führung und Unternehmenskultur.« Dennoch blieb ›Camp Q 2021‹ die letzte Auflage dieses Formats. Stattdessen gibt es jetzt ›Leadership-Expeditionen‹, wo ausgewählten Führungskräften »die Alternativlosigkeit zu einer beherzten Führung« vermittelt wird.
Zu Stephan Eisenhut: ›Die Gründung der Christengemeinschaft und der Goetheanumbrand‹, in: DIE DREI 5/2022
Hunger, Schuld und Leiden
Die Sternschnuppe bezeichnet nicht nur ein Gesteins- oder Staubteilchen aus dem Weltall, das beim Eintreten in die Erdatmosphäre leuchtend verglüht, sondern ist für manche ein ganz besonderer, ein gleichsam himmlischer Augenblick, wo man sich etwas wünschen darf. Er dauert nicht viel länger als ein Wimpernschlag, und das Glücksgefühl, das er auslöst, ist mit nichts anderem zu vergleichen, ein Glück, so schien es mir immer, das aus einer anderen Sphäre kommt und daher die Kraft hat, Wünsche zu erfüllen. Wenn auch astronomisch erklärbar, bleibt die Sternschnuppe doch rätselvoll. Und dass man nicht eben mal dorthin hinrennen konnte, wo das Himmelslicht zur Erde fiel, um den Lichtkörper aufzuheben und nach Hause zu tragen, wollte mir als Kind nie in den Kopf.
Zum 450. Todestag von John Knox (um 1514 – 24. November 1572)
Über den schottischen Reformator John Knox ist in Deutschland relativ wenig bekannt. Die Reformation begann im Jahre 1517 mit den 95 Thesen Martin Luthers (1483–1546). In der Folge kam es zur Spaltung der römisch-katholischen Kirche in verschiedene Konfessionen, wofür neben Luther die Namen Johannes Calvin (1509–1564), Huldrych Zwingli (1484–1531) und John Knox stehen. Zu Letzterem gibt es in den Bibliotheken oder auch antiquarisch kaum deutschsprachige Bücher; die meisten sind in englischer Sprache gehalten.
Zur Ausstellung ›Donatello. Erfinder der Renaissance‹ in der Berliner Gemäldegalerie
Noch bis zum 8. Januar 2023 ist in der Berliner Gemäldegalerie eine Ausstellung der Sonderklasse zu sehen: ›Donatello. Erfinder der Renaissance‹. Seit fast 40 Jahren gab es international keine Personalausstellungen Donatellos mehr. »Doch nun«, meldete das Berliner ›Museumsjournal‹, »haben drei der Museen mit den größten Donatello-Beständen – die Musei del Bargello in Florenz, die Staatlichen Museen zu Berlin und das Victoria and Albert Museum in London beschlossen, ihre Kräfte zu bündeln und die größte Retrospektive zu organisieren, die dem Künstler je gewidmet wurde.«
Zu drei Ausstellungen in Wolfsburg
Unser Menschsein ist durch Sprachen, Kulturen und Religionen seit jeher verschieden. Das macht den Reiz aus, sich gegenseitig wahrzunehmen und voneinander zu lernen; es birgt aber auch die Gefahren einseitiger Sichtweisen und vor allem kategorisierender und diskriminierender Urteile und Benennungen. Egal welche Worte ich finde, um Unterschiede zu bezeichnen, positioniere ich mich sofort als Gegenüber und im ungünstigsten Fall als dominierend oder höhergestellt. Den vorurteilslosen Blick und die einfühlsame Sprache für das gemeinsam Menschliche zu finden, ist eine zeitgenössische Herausforderung, der wir uns angesichts immer wieder aufkommender Rassismen und Diskriminierungen stellen müssen. Haltung und Sprache dafür zu finden, bedeutet Sensibilisierung für das Anders- und Mitsein auf allen Ebenen. Wir sind nicht die Einen, und die uns neu Gegenübertretenden sind nicht die Anderen und Fremden, sondern wir sind alle Menschen auf dem einen Planeten Erde.
Zur Ausstellung ›Joan Jonas‹ im Haus der Kunst in München
Es ist die erste umfassende Werkschau einer Jahrhundertkünstlerin: ›Joan Jonas‹ im Münchner Haus der Kunst, entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Tate Modern in London. Joan Jonas, geb. 1936 in New York City, gehört zu den Begründerinnen der Performance Art. Durch ihr stetiges Experimentieren über 50 Jahre hinweg mit Performance, Video und Installation sowie deren Rückübersetzung in analoge Wirklichkeit wurde sie zu einer Wegweiserin und Inspiratorin der Gegenwartskunst. Doch der große Erfolg wurde ihr selbst erst zuteil, als sie 2015 fast 80-jährig den Pavillon der USA auf der Biennale in Venedig gestaltete.
Eine Signatur im Leben von Käthe Kollwitz
Käthe Kollwitz (1867–1945) hatte eine unbeschwerte Kindheit und war als Jugendliche lebenslustig und gesellig. Sie tanzte gern und verliebte sich oft. Von klein auf malte sie und wurde darin gefördert. Aber genauso ausgiebig beobachtete sie in ihrer Geburtsstadt Königsberg arbeitende Handwerker oder die Sackträger am Hafen und fand sie lebensvoll und schön. Nach ihrer Ausbildung zur Malerin heiratete sie 1891 den Arzt Karl Kollwitz und beide zogen nach Berlin, bewusst in das Arme-Leute-Viertel Prenzlauer Berg. Sie waren ihr Leben lang überzeugte Sozialdemokraten; und so behandelte Karl Kollwitz in seiner Praxis mittellose Kranke umsonst, seine Frau besuchte sie, brachte ihnen Kleider und Essen; dabei lernte sie Siechtum, Elend und Tod kennen.
Zu Oliver S. Lazar: ›Jenseits von Materie‹
Ein Naturwissenschaftler macht mit 43 Jahren eine Erfahrung, die sein Leben völlig verändert. Der Unfalltod einer 13-jährigen Klassenkameradin seiner Tochter trifft ihn so hart, dass er sich das nicht erklären kann. Er durchlebt nicht nur eine tiefe, langanhaltende Trauer, sondern auch eine starke körperliche Reaktion und eine Liebesempfindung, wie man sie nur aus Berichten von Nahtoderfahrungen kennt. Er liest darüber nach und bucht ein Aurareading. Durch die Mitteilung des Mediums erfährt er, dass die Seele des verstorbenen Mädchens den Kontakt zu ihm suchte. Wie soll er das verstehen?
Im Gespräch mit einer Schrift von Marco Fumagalli
Eine scheu sonnenhafte Bescheidenheit charakterisiert gerade manche, häufig nicht umfangreiche Schriften, deren Autoren fähig sind, Fragen wirksam zu verdichten, die für die Zukunft der Menschheit entscheidend sind. Die gemeinten Autoren zeichnen sich durch eine rührende Unscheinbarkeit ihrer auktorialen Gebärde aus, in der offenbar wird: Die schreibende Person will nicht sich selbst auf irgendwelche Bühnen stellen, keine Originalität bekunden, sondern einfach, im Sinne eines geistigen Dienens, Beiträge vergangener Autoren wieder ins Bewusstsein bringen, die als Hebammen für dringende Antworten auf die drängendsten Fragen der Gegenwart wirken können. Diese Gebärde empfand ich augenblicklich bei der Lektüre von Marco Fumagallis Schrift, die mir während einer sommerlichen Tagung durch eine ebenso unscheinbare Schenkgebärde einer geschätzten Person über reicht wurde. Fumagalli tut nämlich durch die zwölf Kapitel seiner Schrift nichts anderes, als zeigen, wie Diether Lauensteins philosophisches Werk ›Das Ich und die Gesellschaft‹ (Stutt gart 1974) ein entscheidendes, auf Plotin und Johann Gottlieb Fichte gründendes1 Konzept zur Beantwortung der brennenden Frage nach der Zukunft des menschlichen Ich im Zeit alter der Künstlichen Intelligenz bieten kann.
Zu Jost Schieren (Hrsg.): ›Die philosophischen Quellen der Anthroposophie‹
Hervorgegangen aus einer Ringvorlesung im Wintersemester 2017/18 mit demselben Titel an der Alanus Hochschule in Alfter liegen nun die Resultate dieser Veranstaltung in schriftlicher Form vor. Nach einigen einleitenden Bemerkungen gehe ich im Folgenden die einzelnen Beiträge durch und schließe ab mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen.
Zur Darstellung der Anthroposophie in der aktuellen Literatur
Anthroposophinnen und Anthroposophen stehen seit der Corona-Pandemie verschärft im Fokus von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Es wird ein Bild von ihnen verbreitet, das festsitzt und wirkt. Erstaunt war ich, als ich neben diesen schnelllebigen Medien nun auch in Büchern, die eine l.ngere Lebenszeit haben, etwas fand. Das kann förderlich oder schädlich sein. Je ein Beispiel ist mir begegnet.
Oder: Wie eine »Klare Kante« zum Bumerang werden kann
Seit der Corona-Krise sehen sich anthroposophische Institutionen einem ungeheuren Druck von mehreren Seiten ausgesetzt. Die staatlich verordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie waren das eine, das andere waren die Reaktionen des eigenen sozialen Umfeldes. Insbesondere in Einrichtungen, bei denen das konkrete Verhältnis zum anderen Menschen im Zentrum steht, wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime usw., sorgten die Verordnungen für heftige Auseinandersetzungen und brachten auch viele ältere Konflikte mit neuer Wucht zur Erscheinung.
Krisenbewältigung und aktuelles Sprachgeschehen
Wie auch in anderen Ländern der westlichen Welt herrscht in Deutschland eine seltsame neue Atmosphäre. Obwohl sich an der traditionellen Meinungsfreiheit hierzulande nichts geändert hat, macht sich das Gefühl breit, man könne bestimmte Dinge nur noch hinter vorgehaltener Hand sagen. Sonst werde einem unversehens Extremismus, Rassismus, Homophobie, Realitätsverweigerung, Fortschrittsfeindlichkeit oder dergleichen unterstellt. Die Liste der verbalen Waffen, mit denen Menschen und Meinungen täglich angegriffen werden, ist lang. So lesen wir z.B. von »Wissenschaftsleugnern«, »Frauenverächtern«, »Klimasündern«, »Sicherheitsgefährdern« oder »Feinden der Demokratie«. Da ist es verständlich, dass friedliebende Zeitgenossen vorsichtig geworden sind, sich auf das Schlachtfeld des »freien« Meinungsaustauschs zu begeben, wo man gefährlichen Verletzungen und Verleumdungen ausgesetzt ist.
Die Rede ist von einem Phänomen, das als Radikalisierung und Polarisierung der Kommunikation bezeichnet wird. Sogar in neutralen Berichten ist ständig von »Kampf« die Rede, als wären die Menschen grundsätzlich gegeneinander eingestellt, als müsse man sich ständig gegen irgendwelche Gegner und Feinde durchsetzen. Das gipfelt in Pauschalurteilen wie: Die Politik »versagt«, die Wirtschaft »betrügt« oder die Presse »lügt«.
Teil I: Alte und neue dogmensetzende Gewalten
Ostern 2020 war jeder gemeinsame Gottesdienst in ganz West- und Mitteleuropa verboten. Die spirituellen Schutz, auch Trost suchende Gemeinschaft der Gläubigen wurde in dieser Zeit großer Befürchtungen – die »Bilder von Bergamo« liefen in den TV-Stationen in Dauerschleife – in den virtuellen Raum der neuen Medien verwiesen. Ausnahmslos. Ostern 2020 wird möglicherweise auch als der geschichtliche Moment zu beschreiben sein, an dem eine Stabübergabe von der alten zu einer neuen dogmensetzenden Gewalt erfolgte. Es gibt dieses emblematische Bild des einsamen Papstes vor dem leeren Petersplatz: gemeinsames Beten ist zu gefährlich und kontraproduktiv. Dafür konnte Bill Gates am Sonntag der Auferstehung zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen die neue, als heilbringend zu verstehende, jetzt irdisch-frohe Botschaft verkünden: »Wir werden den zu entwickelnden Impfstoff letztendlich sieben Milliarden Menschen verabreichen.« Das »wir« wurde nicht näher gekennzeichnet. Klar war aber, dass die Ausführung in die Hände der Ärzte gelegt wurde.
Rudolf Steiners Erkenntnisbiografie und der Beginn des neuen Michael-Zeitalters
Rudolf Steiner hat das Jahr 1879 als den Beginn eines neuen Zeitalters beschrieben, dessen Name mit dem Erzengel Michael verbunden ist. In der Anthroposophie denkt man dabei an ein geistiges Wesen und eine geistige Kraft, die den Menschen in seinem Einsatz für Wahrheit und Güte anspornt und ihm hilft, Einflüsse in seiner Seele zu überwinden, die gegen die volle Entfaltung seines Menschentums wirken. Ins Bild gebracht wird diese Auseinandersetzung als Michaels Kampf mit dem Drachen, wie er z.B. von Albrecht Dürer in seinen Holzschnitten zur Apokalypse so dramatisch dargestellt wurde. Das jährlich wiederkehrende Michaels-Fest, von Papst Gelasius I. im 5. Jahrhundert auf den 29. September gelegt, ist in anthroposophischem Verständnis daher vor allem ein Fest des Willens. Doch handelt es sich bei Michael nicht nur um ein Wesen, das den moralischen Willen anspricht, sondern zugleich um eine geistige Kraft, die mit einer besonderen Art von Erkenntnis verbunden ist, nämlich einer willensgetragenen. Sie besteht in einer inneren Doppelbewegung: dem aktiven Produzieren von Gedankenformen und dem Empfangen der Gedankeninhalte in innerer Hingabe an die Sache, welches man zusammen als »aktive Empfänglichkeit« bezeichnen kann. Wie Rudolf Steiner diese Erkenntnisart in seiner WerkBiografie auf verschiedenen Stufen verwirklichte, soll hier skizzenhaft dargestellt werden.
Die umfassenden Aufgabenstellungen, die mit der Anthroposophie verbunden sind, offenbaren sich auf diesem Erkenntnisweg stufenweise. Obwohl ich mich seit Jahrzehnten mit der Geisteswissenschaft beschäftige, bemerke ich immer wieder, dass auf einmal eine neue, zuvor verborgene Stufe erreicht wird. Aber auch die Entwicklung der anthroposophischen Bewegung verlief am Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Stufen, die Rudolf Steiner im Rückblick selbst beschreibt.
In der ersten Stufe ging es ihm darum, die Grundlagen einer neuen Wissenschaft vom Geist darzustellen. Zu deren zentralen Gebieten gehören insbesondere der Mensch mit seinen sieben Wesensgliedern, die Frage von Reinkarnation und Karma, die Entwicklung der Erde und ihrer Naturreiche sowie die Christologie. Um diese Inhalte in angemessener Form aufnehmen und verarbeiten zu können, ist eine Verlebendigung und Spiritualisierung des Denkens notwendig. Hierzu findet sich im Frühwerk Rudolf Steiners mannigfaltiges Übungsmaterial. Die Aufgabenstellungen, die mit diesem ersten Entfaltungsschritt der Anthroposophie zusammenhängen, sind auch heute noch ungeheuer groß. Denn auf dem Hintergrund der weitgehend materialistischen Denkweise ist eine Spiritualisierung der Wissenschaften ein unglaublich großes Unterfangen. Allein dies würde für Jahrzehnte, ja Jahrhunderte intensivsten Arbeitens unzähliger Wissenschaftler und Forscher ausreichen.
Modernes Nachdenken über die Weltseele
Das Werden der Anthroposophie hängt aufs Engste mit dem Ringen Rudolf Steiners um den Begriff des »kosmischen Christus« zusammen. Eine interessante Frage ist es, ob seine diesbezüglichen Visionen und Spekulationen auch Einfluss über die Anthroposophie und die von ihm inspirierte Christengemeinschaft hinaus hatten. Das dürfte namentlich bei dem französischen Naturwissenschaftler und Paläontologen Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) der Fall gewesen sein, der zugleich als Theologe und Priester ausgebildet war. Ihm ging es zeitlebens um die Fragen einer ganzheitlichen Erfassung kosmischer Entwicklungsprozesse. Den Begriff des »kosmischen Christus«, den er ab 1916 verwendete, könnte er von Steiner, aber auch von einigen Theologen übernommen haben, die ihn seit 1906 ins Spiel gebracht hatten. So versteht der US-Amerikaner John Buckham den kosmischen Christus als das »Alpha and Omega«, wie das sp.ter bei Teilhard immer wieder betont zum Ausdruck kam. Ob wiederum Teilhard Buckham gelesen hat, bleibt unsicher. Jedenfalls hatte der Franzose nach seiner naturwissenschaftlichen und philosophischen Ausbildung von 1908 bis 1911 – also noch über seine Priesterweihe hinaus – in England theologische Studien getrieben, wo er auf Buckhams Publikation gestoßen sein könnte.
Israel hat (schon wieder) gewählt
»Du nahmst meine Hand in deine und hast zu mir gesagt: / Lass uns in den Garten gehen. / Du nahmst meine Hand in deine und hast zu mir gesagt: / Was man von dort sieht – ist von hier aus nicht zu sehen.« – So lautet die erste Strophe eines in Israel dauerpopulären Songs aus dem Jahr 1979. Die vierte Zeile wurde, zuweilen in ihrer Umkehrung, zum Sprichwort: »Was du von hier aus siehst, ist von dort aus nicht zu sehen.. Mit diesem Satz wird jede Kritik, die vom Ausland an Israel gerichtet wird, abgewiesen. Als Israeli mit europäischem Blickwinkel pendle ich zwischen der ursprünglichen und der umgekehrten Variante. »Hier« und »Dort« spiegeln einander, sind Abbild und Realität zugleich. Die sozio-politischen Entwicklungen in Europa, wie der aufkommende Rechtspopulismus, werden in Israel meist nur unter der Lupe des Antisemitismus wahrgenommen. Man sieht sie dort allzu oft überhaupt nicht, und schon gar nicht so, wie sie von hier gesehen werden. Die Intensität und Lautstärke der Ereignisse dort beeinträchtigen die Ressourcen und Kapazitäten, andere Perspektiven einzunehmen. Man hat genug, nein, viel zu viel mit den eigenen Herausforderungen und ungelösten Problemen zu tun.
Manipulative Medienpädagogik auf dem Vormarsch
Am 5. Juli 2022 stimmte das EU-Parlament dem ›Digital Services Act‹ zu. Die dramatischen Folgen für die Möglichkeiten freier Meinungsbildung und -äußerung habe ich hier bereits aufgezeigt. Die meisten der damit beschlossenen Maßnahmen treffen jegliche Art von »Falschbehauptung« – unabhängig davon, ob sie absichtlich oder unabsichtlich getätigt wurde, und ob sie legal oder illegal ist. Von solchen »Falschbehauptungen« im Allgemeinen unterscheidet die EU-Kommission jedoch gezielte »Desinformationen«. Diese seien Elemente der »hybriden Kriegsführung« seitens Russlands. Mit dieser Argumentation werden NATO, Bundeswehr und Geheimdienste bereits seit 2015 am »Kampf« gegen »Fake-News« beteiligt. Welche Volksmeinungen die Wahrheitskrieger aktuell als das Werk Wladimir Putins verstanden wissen wollen, kann der Datenbank der ›East Strat-Com Task Force‹ entnommen werden.
Am 18. November 2022 fand ein konzertierter Angriff gegen die Anthroposophie in den deutschen Medien statt. Deren Kernstück war eine ›ZDF-Zoom‹-Reportage mit dem manichäisch anmutenden Titel: ›Anthroposophie – gut oder gefährlich?‹, die vor knapp einem Jahr gedreht worden war und deutliche Spuren der damaligen Stimmung trug, in der die Diskriminierung, ja Dämonisierung Andersdenkender in deutschen Redaktionsstuben zum guten Ton gehörte. Der Journalist Jochen Breyer zieht darin das Resümee: »Anthroposophie ist eben auch Karma, kosmische Kräfte und immer wieder die Überzeugung, dass Wissenschaft nicht alles ist, dass Wissenschaft begrenzt ist, und genau das ist gefährlich. In der Pandemie haben wir bemerkt, was es bedeutet, wenn das Vertrauen in die Wissenschaft fehlt.« Verwundert nimmt man zur Kenntnis, dass Wissenschaft neuerdings »alles« zu sein hat, dass offensichtlich Religion und Kunst nicht mehr neben ihr als gleichberechtigte Ausdrucksformen des menschlichen Geistes stehen dürfen. Stattdessen scheint Wissenschaft für viele Menschen zu einer Art Staatsreligion geworden zu sein, an der Zweifel zu hegen und von deren Grenzen zu sprechen als gemeingefährlich gilt.
Zu Stephan Eisenhut: ›Zwei Kämpfer für eine soziale Zukunft‹, in die Drei 3/2022